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Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0056
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56

Victor Goldschmidt:

bäume, als Schema für alle möglichen Vorgänge und Zusammen^
hänge der Abstammung. Die Gabel kann bifurkal oder multifurkal
sein. Sie kann zwei oder mehr Zinken haben. Ein schönes Bei-
spiel der Gabelung in mehrere Zinken (Multifurkation) zeigen die
Blütenstände mancher Pflanzen, z. B. die Dolden der Umbelliferen
(Fig. 35). Innerhalb der Gabel kann sich der Prozeß der inneren
Differenzierung vollziehen. Diese geschieht in der Regel nach dem
Gesetz der Gomplikation. Ein Beispiel solcher Kombination von
Gabelung und Gomplikation zeigen unsere beiden Arme mit den
Händen und den durch Gomplikation differenzierten fünf Fingern
(Fig. 36).
Der Vorgang der Furkation spielt sich vorwiegend in der be-
lebten Natur ab. Bei Pflanzen und Tieren. Er kommt aber auch
in der unbelebten Natur vor. Die Formen der unbelebten Natur
sind wesentlich die Formen der Krystalle. Bei ihnen herrscht streng
das Gesetz der Gomplikation. Es ist zu prüfen, ob und wann auch
dort die Furkation Vorbedingung der Gomplikation ist. Zum Ver-
ständnis dieser Frage müßte ich näher auf krystallographische Dinge
eingehen, was ich mir hier versagen möchte.
Die Furkation in der Natur läßt sich geometrisch darstellen,
zunächst genähert, dann mit genauer Kenntnis und Auswertung
hach Maß und Zahl, immer präziser. Es hat aber diese geometrische
Darstellung ihr analytisches Äquivalent. Dies analytische Äquivalent,
als Ganzes zusammen gefaßt, nennen wir eine Funktion. Es ist unsere
mathematische Aufgabe, diese Funktion analytisch und geometrisch
auszubauen, um durch solchen Ausbau die Vorgänge in der Natur
verfolgen zu können. Es ist eine der wertvollsten Eigenschaften
einer mathematischen Funktion, daß ihr Ausbau (nach Herstellung
der Analogie mit den Naturvorgängen) uns in den Stand setzt, Zu-
sammenhänge in der Natur zu verstehen, ja unbekannte Erscheinungen
zu berechnen, herauszufinden und vorherzusagen.
Danach erscheint der mathematische Ausbau der Furkal-Funktion
sowie der Gomplikations-Funktion für die Naturwissenschaft von
Wichtigkeit. Umgekehrt hilft der naturwissenschaftliche Ausbau
der Furkation und Gomplikation der Mathematik bei ihrem Ausbau,
sie führt ihr neue Kapitel und neue Aufgaben zu.
Naturwissenschaft und Mathematik. Es besteht ein Ver-
hältnis der Gegenseitigkeit zwischen Naturwissenschaft und Mathe-
matik. Die Mathematik hat den Naturwissenschaften Wertvolles
 
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