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Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

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https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0086
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86

Victor Goldschmidt:

Nachdem dann durch fortschreitende Complikation (wie sich
streng verfolgen läßt) die Mannigfaltigkeit bis zum Chaotischen ge-
steigert wurde, haben wir uns dem Anfangszustand genähert. Der
Gesang wird wieder zur Sprache, der Bel Canto der Italiener wird
zum WAGNERSchen Sprechgesang. Damit ist die Periode der Ent-
wicklung geschlossen.
Die Musik entwickelt sich aus dem Chaos durch Abklärung zu
reinen Tönen (Displikation), sie differenziert sich (durch Compli-
kation) bis zur klassischen Höhe und darüber hinaus durch Über-
reicherung bis zum Chaos. Dann muß und wird, um aus dem
Chaos herauszukommen, die Abklärung (durch Displikation) neu ein-
setzen. Dieser Vorgang, den wir heute erleben, zeigt den periodischen
Verlauf der Entwicklung in stetigem Wechsel von Displikation und
Complikation.
Transponieren in der Musik ist ein Wechseln des Grundtons
und damit zugleich aller seiner Ableitungen, wie sie das Stück ent-
hält. Das Transponieren in der Musik entspricht in der Krystallo-
graphie einem Wechsel des Habitus, von dem oben die Rede war.
Wir können uns den mechanischen Vorgang so vorstellen, daß alle
Töne auf den neuen Grundton projiziert werden und daß sich aus
dem neuen Grundton das Stück ebenso entwickelt, wie aus dem
ursprünglichen.
Modulation ist ein ähnlicher Vorgang im Kleinen. Hier wech-
selt der Akkord durch Wechseln des Grundtons, Wechsel des
Grundtons ist aber Displikation, das ist Sammeln auf gegebene neue
Vorzugs -Vektoren.
Diese Andeutungen mögen hier genügen. Sie werden verständ-
licher nach den noch nicht veröffentlichten Untersuchungen des
Verfassers über Musiklehre. Wir wollen auf die Displikation hier
nicht näher eingehen. Ihre Eigenschaften ergeben sich aus denen
der Complikation. Bestätigt sich die Complikations-Funktion als
eigenartig und wichtig, so gilt dies auch für die Displikation.
Funktion mit konstantem Summenwert. Die Complikations-
Funktion unterscheidet sich von anderen mathematischen Funktionen
dadurch, daß ihr Wesen nicht durch den Summenwert der Glieder
aus gedrückt ist, sondern durch die Zahl und Eigenart der Glieder.
Selbst wenn die Zahl der Glieder unendlich ist, interessiert uns die
Eigenart und Anordnung der zuerst gebildeten Glieder. Dabei nimmt
 
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