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Goldschmidt, Victor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Mathematisch-Naturwissenschaftliche Klasse: Abteilung A, Mathematisch-physikalische Wissenschaften (1921, 12. Abhandlung): Über Complikation und Displikation — Heidelberg: Winter, 1921

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.56266#0089
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Über Complikation und Displikation.

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sammen? Wie teilen und vereinigen sich diese Partikelkräfte? Mit
dieser Fragestellung sind wir mitten in der Krystallographie und
mitten im Wirkungsgebiet des Complikationsgesetzes. Dort wird
der Ausbau der Complikations-Funktion die reichsten und wert-
vollsten Früchte tragen; im Gebiet der Formenlehre, ebenso wie
in der Partikelphysik, in der Kohäsionslehre und in der Krystalloptik.
Bedeutung der Complikations-Funktion. Es wurde zu zeigen
versucht, daß in der Complikation eine eigene mathematische Funk-
tion vorliegt, die eines Ausbaues wert und fähig ist. Welches ihr
Gewicht und ihre Bedeutung sein wird, läßt sich noch nicht sagen.
So viel läßt sich aber schon jetzt übersehen, daß sie berufen ist,
in großen Gebieten der Naturwissenschaft klärend und fördernd
einzugreifen. Sie beherrscht die Entwicklung der Flächenreihen der
Krystalle und deren Äquivalent, die Differenzierung der krystall-
bauenden und flächenerzeugenden Partikelkräfte. Sie gibt den
Fraunhofer-Linien im Spektrum und den Planeten im Weltraum
ihren Ort. Sie beherrscht den Aufbau der Werke der Musik vom
kleinsten Liedchen hinauf bis zu Palestrinas Stabat Mater und
Bachs großer H-Moll-Messe. Sie ordnet die Farben in der Kunst
von der primitivsten der Australneger hinauf bis zu Raffael und
Holbein. Sie beherrscht die Entwicklung unserer Maß-, Gewicht-
und Zahlensysteme und greift in die unbelebte, wie in die belebte
Natur ein, überall, wo sich Mannigfaltigkeit aus dem Einfachen ent-
wickelt. Das ist nicht wenig. Es ist danach der mathematische
Ausbau wohl der Mühe wert. Denn je besser die Funktion ausge-
baut ist, desto wirksamer wird sie in allen Gebieten eingreifen, in
denen das Gesetz der Complikation sich zeigt. Die Anfänge solchen
Ausbaues, wie sie oben versucht wurden, lassen erkennen, daß eine
einfache und elegante Fassung möglich ist.
Die Complikations-Funktion hat vor allen anderen mathe-
matischen Funktionen (soweit ich sehen kann) den Vorzug, daß sie
nicht nur in die Mechanik ein greift, sondern auch in die Ästhetik,
das ist die Lehre vom Schönen (zunächst bei den Farben und
Tönen), und wahrscheinlich sogar in die Ethik, das ist die Lehre
vom Guten. Ist das so, so werden auch die Philosophen, wie
die Künstler nicht umhin können, sich ihrer zu bedienen und sich
bei ihr Rat zu holen.
Die Complikations-Funktion hat einen Weg erschlossen, der,
von der Mathematik und Physik ausgehend, zur Physiologie der
Sinnesorgane führt und von dieser weiter zu der Psychik und zur
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