Zur Physiologie der Nierensekretion
II. Mitteilung
von
Otto Cohnheim
(Aus dem Physiologischen Institut, Heidelberg.)1)
Im vorigen Jahre2) habe ich über Versuche berichtet, in
denen ich durchsichtigen Schnecken Farbstoffe injizierte und
deren Ausscheidung durch die Niere am lebenden Tiere be-
obachtete. Vor der Ausscheidung kam es zu einer Speicherung
in der Niere, und diese Speicherung erfolgte bei Neutralrot mit
roter Farbe, bei einem Alizarin stellenweise in blauer Farbe.
Als Indikatoren konnten die beiden Farbstoffe hier nicht wirken;
denn das Resultat hätte dann ja bedeutet, daß in der Niere so-
wohl saure (Neutralrot) als auch alkalische (Alizarin) Reaktion
herrschte. Vielmehr war der Befund so aufzufassen, daß beide
Farben in der Niere in der Salzfarbe gespeichert werden.
Neutralrot ist als Base gelb, als Salz rot, und wird somit in der
Niere als Salz an eine Säure gebunden. Das Alizarin ist als
Säure gelb, als Salz blau, und es wird somit in der Niere als
Salz an eine Base verankert. Ich schloß aus diesem Befund,
daß die Speicherung, die beide Farben in der Niere erfahren
und die eine notwendige Voraussetzung und die Vorstufe zur
Ausscheidung durch die Niere ist, in einer chemischen Bindung
an irgendwelche Bestandteile der Niere besteht. Ich schloß
daraus ferner, daß man diesen Befund wohl verallgemeinern
könne, und bei jedem Stoffaustausch und jeder Sekretion im
Organismus zunächst an derartige chemische Bindungen denken
müsse und nicht an Membrandurchlässigkeit. Die Annahme,
daß bei jeder Drüsensekretion eine vorherige chemische Bin-
dung an das Protoplasma eine Rolle spielt, ist bereits vor mir
von Asher3) vertreten worden.
') Mit Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Stiftung
Heinrich Lanz).
2) 0. Cohnheim, Zeitschr. f. phys. Chem. 80, 95 (1912).
3) L. Asher und P. Karaulow, Blochern. Zeitschr. 25, 305 (1910).
II. Mitteilung
von
Otto Cohnheim
(Aus dem Physiologischen Institut, Heidelberg.)1)
Im vorigen Jahre2) habe ich über Versuche berichtet, in
denen ich durchsichtigen Schnecken Farbstoffe injizierte und
deren Ausscheidung durch die Niere am lebenden Tiere be-
obachtete. Vor der Ausscheidung kam es zu einer Speicherung
in der Niere, und diese Speicherung erfolgte bei Neutralrot mit
roter Farbe, bei einem Alizarin stellenweise in blauer Farbe.
Als Indikatoren konnten die beiden Farbstoffe hier nicht wirken;
denn das Resultat hätte dann ja bedeutet, daß in der Niere so-
wohl saure (Neutralrot) als auch alkalische (Alizarin) Reaktion
herrschte. Vielmehr war der Befund so aufzufassen, daß beide
Farben in der Niere in der Salzfarbe gespeichert werden.
Neutralrot ist als Base gelb, als Salz rot, und wird somit in der
Niere als Salz an eine Säure gebunden. Das Alizarin ist als
Säure gelb, als Salz blau, und es wird somit in der Niere als
Salz an eine Base verankert. Ich schloß aus diesem Befund,
daß die Speicherung, die beide Farben in der Niere erfahren
und die eine notwendige Voraussetzung und die Vorstufe zur
Ausscheidung durch die Niere ist, in einer chemischen Bindung
an irgendwelche Bestandteile der Niere besteht. Ich schloß
daraus ferner, daß man diesen Befund wohl verallgemeinern
könne, und bei jedem Stoffaustausch und jeder Sekretion im
Organismus zunächst an derartige chemische Bindungen denken
müsse und nicht an Membrandurchlässigkeit. Die Annahme,
daß bei jeder Drüsensekretion eine vorherige chemische Bin-
dung an das Protoplasma eine Rolle spielt, ist bereits vor mir
von Asher3) vertreten worden.
') Mit Unterstützung der Heidelberger Akademie der Wissenschaften (Stiftung
Heinrich Lanz).
2) 0. Cohnheim, Zeitschr. f. phys. Chem. 80, 95 (1912).
3) L. Asher und P. Karaulow, Blochern. Zeitschr. 25, 305 (1910).