18 (B. 2)
Willy Hellpach:
mehr zweifelhaft, mehr als begreiflich, geradezu unausbleiblich ist:
auch physiognomisch.
27. Für die Tatsächlichkeit dieses Hergangs gibt es einen
schwerwiegenden Erfahrungsbeleg. Das ist die topographische Fixie-
rung der deutschen Stämme seit so vielen Jahrhunderten. Gerade
auch über das Gebiet der Franken und Alemannen sind im letzten
Jahrtausend ungeheure fremde Völkerwogen (die Reformations-
kriege! die Kriege Ludwigs XIV.! die napoleonischen Kriege!) und
ist im letzten Jahrhundert der gewaltige Strom der Binnenwande-
rung (der manche Städte in einem Menschenalter an Bevölkerung
aufs fünffache und darüber hob) hinweggegangen. Schwer berechen-
bar ist die Masse stammfremden Zuflusses, noch schwerer berechen-
bar der Umfang seiner Einkreuzung in die „urstämmische“ Bevöl-
kerung12. Sicher ist beides so außerordentlich, daß die Erhaltung
einer auch heute noch eindrucksvollen Stammeseigenart, gegen die
einstige wenig verändert, mit so gut wie unverschobenen topo-
graphischen Sitzen und Grenzen, ein nahezu mystisches Rätsel
wäre, wenn nicht die Assimilationskraft der Eingesessenen auf die
Zusiedelnden dauernd eine überaus starke gewesen wäre. Nur
indem, was da war, dem, das hinzukam, Mundart, Sitte, Haltung,
Ausdruck und damit schließlich auch Erlebnisform und Physio-
gnomie aufzwang (aber ohne Zwang im äußerlichen Sinne, lediglich
durch die Macht des mitmenschlichen Umgangs — „sozialpsycho-
logisch“) — wird die sprachliche, seelische, physiognomische und
geographische Selbstbehauptung der uralten Stammesdifferen-
zierung selbst mitten auf so stürmisch belebten Völkerstraßen, wie
das Rheintal eine vorstellt, faßbar. Die unbeirrte Umformungs-
kraft der regionalen Konvention in psychischer und physischer
Hinsicht auf alles Zuströmende — diese sozialpsychologische
und damit auch sozial physiologische Einwirkung allein ver-
mag den Kern des deutschen Stammesproblems, die Existenz der
alten Stämme, ihre geographische, linguistische, psychologische und
endlich auch morphologische, besonders physiognomische Existenz
zu erklären.
28. Wodurch erklärt sich eine gewisse Ungleichheit der physio-
gnomischen Selbstbehauptung, wie sie in dem stärkeren Sich-
Durchsetzen des schwäbischen Typus gegenüber dem fränkischen
(s. Abs. 12) in Erscheinung tritt? Mit aller gebotenen Vorsicht
weise ich dafür auf 3 Erklärungsgründe hin. Erstens ist die raschere,
beweglichere, flüchtigere Erlebnisform duldsamer gegen das Anders-
Willy Hellpach:
mehr zweifelhaft, mehr als begreiflich, geradezu unausbleiblich ist:
auch physiognomisch.
27. Für die Tatsächlichkeit dieses Hergangs gibt es einen
schwerwiegenden Erfahrungsbeleg. Das ist die topographische Fixie-
rung der deutschen Stämme seit so vielen Jahrhunderten. Gerade
auch über das Gebiet der Franken und Alemannen sind im letzten
Jahrtausend ungeheure fremde Völkerwogen (die Reformations-
kriege! die Kriege Ludwigs XIV.! die napoleonischen Kriege!) und
ist im letzten Jahrhundert der gewaltige Strom der Binnenwande-
rung (der manche Städte in einem Menschenalter an Bevölkerung
aufs fünffache und darüber hob) hinweggegangen. Schwer berechen-
bar ist die Masse stammfremden Zuflusses, noch schwerer berechen-
bar der Umfang seiner Einkreuzung in die „urstämmische“ Bevöl-
kerung12. Sicher ist beides so außerordentlich, daß die Erhaltung
einer auch heute noch eindrucksvollen Stammeseigenart, gegen die
einstige wenig verändert, mit so gut wie unverschobenen topo-
graphischen Sitzen und Grenzen, ein nahezu mystisches Rätsel
wäre, wenn nicht die Assimilationskraft der Eingesessenen auf die
Zusiedelnden dauernd eine überaus starke gewesen wäre. Nur
indem, was da war, dem, das hinzukam, Mundart, Sitte, Haltung,
Ausdruck und damit schließlich auch Erlebnisform und Physio-
gnomie aufzwang (aber ohne Zwang im äußerlichen Sinne, lediglich
durch die Macht des mitmenschlichen Umgangs — „sozialpsycho-
logisch“) — wird die sprachliche, seelische, physiognomische und
geographische Selbstbehauptung der uralten Stammesdifferen-
zierung selbst mitten auf so stürmisch belebten Völkerstraßen, wie
das Rheintal eine vorstellt, faßbar. Die unbeirrte Umformungs-
kraft der regionalen Konvention in psychischer und physischer
Hinsicht auf alles Zuströmende — diese sozialpsychologische
und damit auch sozial physiologische Einwirkung allein ver-
mag den Kern des deutschen Stammesproblems, die Existenz der
alten Stämme, ihre geographische, linguistische, psychologische und
endlich auch morphologische, besonders physiognomische Existenz
zu erklären.
28. Wodurch erklärt sich eine gewisse Ungleichheit der physio-
gnomischen Selbstbehauptung, wie sie in dem stärkeren Sich-
Durchsetzen des schwäbischen Typus gegenüber dem fränkischen
(s. Abs. 12) in Erscheinung tritt? Mit aller gebotenen Vorsicht
weise ich dafür auf 3 Erklärungsgründe hin. Erstens ist die raschere,
beweglichere, flüchtigere Erlebnisform duldsamer gegen das Anders-