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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 8. Abhandlung): Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32883#0016
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E. I. Bekker :

als das des Wollens), daß aber jede Folgerung, die aus der Emp-
fmdung gezogen würde, beispielsweise, daß> der Ton einer Trom-
pete entstamme, was ich sehe, ein Hund oder ein Haus sei, das
würde schon wieder eine gewisse Aktivität erfordern, und also
kein vom Menschen ausgehendes Tun sein. Aber sind wir im-
stande, die Grenze zwischen dem rein passiven Empfinden und
den durch diese ausgelösten Bewegungen menschlicher Kräfte
scharf zu ziehen?
Überhaupt wird eingeräumt werden, daß das Bild des passiven
Menschen, so rein und richtig wie der konsequente Determinismus
dies fordern muß, nicht leicht zu zeichnen ist, wogegen feststeht,
daß die unbefangene Betrachtung unseres Lebens durchweg auf
Erscheinungen stößt, die wir als Bestätigungen unserer Aktivität
zu deuten gewöhnt sind.
Was vom Menschen nach dieser deterministischen Anschau-
ung übrig bleibt, reicht bei weitem nicht aus, das Ichgefühl zu
rechtfertigen, das in jedem von uns lebt, der weder unreif noch
überreif ist. Aber vielleicht handelt es sich auch hier nur um
ein Empfmden, und was wir empfmden, ist nur ein Erträumtes.
Ganz ebenso wahrscheinlich, wie daß, im Gegensatz zu unserem
zweiten Axiom, die Umwelt, die wir zu empfmden glauben,
gleichfalls auch nur eine erträumte ist. Sonach führten wir ein
Doppelleben: ein wirkliches, in dem wir unter dem Zwange eines,
zwar von uns nicht wrahrzunehmenden, aber doch bestelienden
und ausnahmslos uns leitenden, Muß vegetieren; und ein Er-
träumtes, in welchem wir einen selbständigen Willen als Leiter
uns eigner Kräfte zu besitzen und demgemäß auch die Verant-
wortung fiir unser gutes und schlechtes Tun zu tragen vermeinen.
Und nun das Wunderbare: unser wirkliches Leben, d. h. was
zwar nicht unser Denken und Tun ist, sondern Produkt der
prädestinierenden Allmacht, das spielt sich ab durchweg nach
den Regeln und Gesetzen, die uns in dem Traumleben als Wirk-
lichkeiten erscheinen. So stehen wir, unfähig zu entrinnen, in
der Mitte eines Netzes von Lügen, die Wahrheit, daß wir unter
einem uns auf Schritt und Tritt bindenden Muß stehen, vermögen
wir nicht zu erschauen; dagegen selien wir, daß unser Geschick
von der Unwahrheit geleitet wird, und gerade so veriäuft, als
ob die geträumte Willensfreiheit wirklichen Bestand hätte.
Wunderbar insbesondere, daß die prädestinierende Allmacht ihren
Wiilen, das von ihr festgestelite Muß, bei dem Menschengeschlecht
 
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