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Bekker, Ernst Immanuel; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1912, 8. Abhandlung): Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen — Heidelberg, 1912

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https://doi.org/10.11588/diglit.32883#0029
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Das Recht als Menschenwerk und seine Grundlagen.

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räumen, daß, wenn nicht die Mehrheit, doch ein großer Teil der
gebildeten Laienwelt den Anschauungen zuneigt, die wir ver-
werfen. Noch immer meinen viele in dem „Recht“ etwas Be-
sonderes, ein den Offenbarungen der Religion verwandtes,
heiliges oder docli halbheiliges Gotteswerk zu sehen; und der
Kernpunkt des Streites liegt eben in der Frage „Menschenwerk
oder Gotteswerk?“ Gotteswerk wie die Sprache, wie Moral,
Sitten, Gebräuche, Moden, überhaupt das ganze menschliche
Tun und Lassen, soweit es auf Trieben beruht, die Gott Natur,
Geschick, gleichviel, mit welchem Namen wir die unendliche
und für uns ehenso unbegreifliche wie unteugbare Allmacht
heißen, in uns eingepflanzt hat; dagegen hätten wir nichts einzu-
wenden. Denn in allen diesen sehen wir doch nur Dinge, bei
welchen zwar der Keim ein von Gott gegebener, die Ausbildung
aber durch den menschlichen Willen, unser „gewolltes“ Handeln
erfolgt ist. Lassen wir dem Menschen sein Teil an der Be-
wirkung von all dem Guten und Schlechten, in dem er die
Folgen seines Tuns zu erhlicken gewöhnt ist, so wird das Reclit
Menschenwerk, in seinem Erwachsen am besten der Sprache
vergleichbar; nicht der Pflanze, was nur Deterministen billigen
könnten.
Menschenwerk wie die Sprache; die Werdeprozesse beider
sind einander ähnlich. Der isolierte Mensch braucht Sprache so
wenig wie Recht. Im Verkehr mit andern tritt wohl zuerst das
Bedürfnis eines Austausches der Gedanken hervor, etwas später
auch das des Austausches der Güter; wir verstehen darunter
die dem einzelnen zuständigen Quantitäten nicht eigener be-
herrschter Kräfte. Sonach verlegen wir den Ursprung beider
in die Familie. Aus der Familie sind alle größeren Ver-
einigungen, Verbände bis zu den Staaten der Gegenwart und der
Zukunft hervorgegangen, mit flüssigen Übergängen. Beide ent-
halten Regeln für Tun und Verhalten der im Verkehr Stehenden;
diesen Regeln fügen sich die einzelnen mehr oder weniger
willig; das Idauptzwangsmittel, daß ohne Regeln, und folglicti
auch bei deren durchgängiger Verleugnung, jeder Verkehr un-
möglich würde. Gemeinschaftlich noch, claß beiden eine gewisse
plast.ische, abschließende Kraft innewohnt. Die Sprache ermög-
licht die Übertragung der Gedanken, um aber übertragbar, für
Sprecher und Hörer gleich faßbar zu sein, muß der Gedanke
als ein abgeschlossener auftreten, die Sprache zwfngt zur Prä-
 
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