Studien zur Vorgeschichte des deutschen Yolksnamens.
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sozusagen überall in der Luft liegenden diutisk. Der schwung-
volie Gote Theoderich, dessen eigener Name den 'Volksherrscher'
bedeutet, und Chlodovech, der gewaltsame Franke, der seinem
ältesten Sohne denselben Namen Theuderich gegeben: sie hätten
beide bei persönlicher Begegnung einander als 'deutsch' redende
Stammesgenossen, und warum nicht lieber gleich als 'deutsche'
Könige begrüßen mögen ?
Diese großartige Ansicht, so mächtig sie noch heute in dem
rührenden Vortrage JvKOB GRinns jedes echt germanisch schla-
gende Herz ergreift, ist nichtsdestoweniger längst allgemein
als ungeschichtlicher Traum verworfen worden. Zwar gab es
unzweifelhaft auch zwischen den entferntesten Gfiedern der ger-
manischen Völkerfamilie, sobald sie durch historisches Geschick
mit einander in Berührung kamen, zu jeder Zeit ein gewisses Maß
von übereinstimmender Rassenempfindung, und natürlich, je
höher hinauf in der Vergangenheit, desto stärker; wiewohl jene
ethnographische Sage, wo sie uns in greifbarer Gestalt gegenüber-
tritt, doch lediglich dazu dient, gemeinsame Abstammung und
innere Gruppierung der Westgermanen, also gerade der Vorfahren
des späteren deutschen Volkes^, in mythischer Schilderung zu ver-
gegenwärtigen. Daß nun aber ein solches Rassegefühl, oder auch
die sicherlich unabweisbare Wahrnehmung relativ enger Sprach-
verwandtschaft notwendig nach artikulierter Darstellung in einem,
sei es die Rede, sei es das Geblüt betreffenden Eigennamen für
gemeingermanisches Wesen getrachtet hätte, läßt sich nicht be-
haupten. Am allerwenigsten darf man die Umwälzungen der
Völkerwanderungszeit auf ein in der Tat gar nicht vorhandenes
geschichtliches Gesamtbewußtsein der daran betedigten Stämme
zurückführen, unter denen sich überdies bekanntlich auch solche
form brauche. Ein ähnliches Verfahren werde ich mir auch sonst erlauben,
wenn nicht die Lautdifferenz zugleich für die Sache in Betracht kommt.
^ Und selbstverständlich auch des angelsächsischen, von seinen jüti-
schen Bestandteilen abgesehen. Daß aber auf gotische wie nordische Ost-
germanen im 1. Jahrh. n. Chr. von seiten der Westgermanen die ethnogonische
Sage nicht erstreckt wird, lehrt die Kombination der Angaben des Tacitus
(Germ. 2) und Plinius (Nat. hist. IV, 27, 96; 28, 99). Die fränkische Völker-
tafel von etwa 520 zieht jene ersteren freilich mit herein, allein ebenso auch
Romanen und Bretonen; sie beruht eben, wie MüLLENHOFF (Berl. Ak. Abh.
1862 8. 532ff.) gezeigt, nicht mehr auf genealogischer Sage, sondern auf
politisch-geographischem Schema.
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sozusagen überall in der Luft liegenden diutisk. Der schwung-
volie Gote Theoderich, dessen eigener Name den 'Volksherrscher'
bedeutet, und Chlodovech, der gewaltsame Franke, der seinem
ältesten Sohne denselben Namen Theuderich gegeben: sie hätten
beide bei persönlicher Begegnung einander als 'deutsch' redende
Stammesgenossen, und warum nicht lieber gleich als 'deutsche'
Könige begrüßen mögen ?
Diese großartige Ansicht, so mächtig sie noch heute in dem
rührenden Vortrage JvKOB GRinns jedes echt germanisch schla-
gende Herz ergreift, ist nichtsdestoweniger längst allgemein
als ungeschichtlicher Traum verworfen worden. Zwar gab es
unzweifelhaft auch zwischen den entferntesten Gfiedern der ger-
manischen Völkerfamilie, sobald sie durch historisches Geschick
mit einander in Berührung kamen, zu jeder Zeit ein gewisses Maß
von übereinstimmender Rassenempfindung, und natürlich, je
höher hinauf in der Vergangenheit, desto stärker; wiewohl jene
ethnographische Sage, wo sie uns in greifbarer Gestalt gegenüber-
tritt, doch lediglich dazu dient, gemeinsame Abstammung und
innere Gruppierung der Westgermanen, also gerade der Vorfahren
des späteren deutschen Volkes^, in mythischer Schilderung zu ver-
gegenwärtigen. Daß nun aber ein solches Rassegefühl, oder auch
die sicherlich unabweisbare Wahrnehmung relativ enger Sprach-
verwandtschaft notwendig nach artikulierter Darstellung in einem,
sei es die Rede, sei es das Geblüt betreffenden Eigennamen für
gemeingermanisches Wesen getrachtet hätte, läßt sich nicht be-
haupten. Am allerwenigsten darf man die Umwälzungen der
Völkerwanderungszeit auf ein in der Tat gar nicht vorhandenes
geschichtliches Gesamtbewußtsein der daran betedigten Stämme
zurückführen, unter denen sich überdies bekanntlich auch solche
form brauche. Ein ähnliches Verfahren werde ich mir auch sonst erlauben,
wenn nicht die Lautdifferenz zugleich für die Sache in Betracht kommt.
^ Und selbstverständlich auch des angelsächsischen, von seinen jüti-
schen Bestandteilen abgesehen. Daß aber auf gotische wie nordische Ost-
germanen im 1. Jahrh. n. Chr. von seiten der Westgermanen die ethnogonische
Sage nicht erstreckt wird, lehrt die Kombination der Angaben des Tacitus
(Germ. 2) und Plinius (Nat. hist. IV, 27, 96; 28, 99). Die fränkische Völker-
tafel von etwa 520 zieht jene ersteren freilich mit herein, allein ebenso auch
Romanen und Bretonen; sie beruht eben, wie MüLLENHOFF (Berl. Ak. Abh.
1862 8. 532ff.) gezeigt, nicht mehr auf genealogischer Sage, sondern auf
politisch-geographischem Schema.