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Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0014
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14

ALFRED ΌθΥΕ:

Mutmaßung steht nun die andere — wir nennen sie: die vulgäre
— Hypothese, welche ihrerseits kaum minder zahlreiche Anhän-
ger haben mag. Sie faßt den AMrgang sehr viel prosaischer auf,
indem sie 'deutsch' für die Sprache des gemeinen, ungebildeten
Volkes, des vmlgus, nimmt und dabei natürlich ihr Augenmerk
auf den damals so wichtigen Gegensatz zum lateinischen Idiom
der Iiirche, des Staates und der Gelehrsamkeit richtet. Daß auch
diese Auslegung sich auf GRiMM herufen darf, braucht kaum m
Erinnerung gebracht zu werden. Daß übrigens auch ihr sehr
erhebliche Schwierigkeiten, obschon von ganz anderer Natur als
bei der nationalen Hypothese, im Wege stehen, ist hier noch nicht
der Ort, auseinanderzusetzen. Das allein möchten wir von vorn-
herem betonen und hoffen dabei keinem ernsten Widerspruche
zu begegnen, daß, solange zwei dermaßen verschiedene, nach
unserer Ansicht einander völlig ausschließende AVrmutungen, wie
diese nationale und vulgäre Hypothese, so gut wie gleichberechtigt
neben einander herlaufen, von einer durchgreifenden Lösung der
gestellten Aufgabe noch keineswegs die Rede sein kann. Auch wird
der Stand der Sache dadurch nicht gebessert, daß sich zwischen
beiden Parteien eine dritte, bestehend aus Freunden des Kompro-
misses, eingefunden hat, welche man treffend als die nationai-
vulgäre oder vulgär-nationale bezeichnen könnte. Diese Partei
hält für möglich, daß die Schöpfung des Namens 'deutsc.h' fiir
unsere 'VoIkssprache' im nämlichen Moment sowohl gegen das
Lateinische wie gegen das Romanische Front gemacht habe, daß
also der Eegriff 'VoIk' bei jenem Schöpfungsakte zugleich als
Nation und als ungelehrte Menge verstanden worden sei. Wie
dies geschehen könne, wird allerdmgs jedem dunkel bleiben, der
sich der oft gemachten psychologischen Reobachtung entsinnt,
daß alle Namengebung auf einer eigentümlichen Konzentration
des Geistes beruht, infolge deren der benannte Gegenstand zunächst
nur an einem einzigen seiner Merkmale ergriffen wird^. Auf jeden
Fall setzt dalier die erwähnte Mutmaßung voraus, daß das Wort
diot selbst, auf welches diutisk zurückdeutet, schon vorhei' die
nationale wie die vulgäre Seite des AVlksbegriffes in festei' und
anerkannter AVrbindung in sich vereint habe. Wie man sieht,
fügt dahei' diese Kompromißtheoi'ie, anstatt die hüben wie drüben
^ AVt A. RosENSTEm, Die psycholog. Bedingungen des Bedeutungs-
wechseis der Wörter, Danzig 1884 8. 6f. und die ebd. angeführten Stellen aus
den Schriften von LAZARUS und STEiNTi-iAL.
 
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