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ALFRED DOVE:
talischen Geschichte abgezogene Theorie der verhängnisvohen
Aufeinanderfolge von immer gewaltigeren Weltherrschaften —
die sogenannte Viermonarchienfehre des Buches Daniel — eben
seit der Ausbildung des Cäsarenreiches eine für das Altertum
überhaupt abschließende furchtbare Wahrheit. In dem ungeheuren
Gebiet des orbis erscholl fortan ein und dasselbe nomen Roma-
num; was sich an ihm erkannte, war statt des alten gewaltigen
Bürgervolkes eine Reichsbevölkerung von vielen Millionen Men-
schen, halb mit lateinischem, halb mit griechischem Anstrich,
auch im übrigen nicht etwa homogen, in gewisse provinziale Grup-
pen zerlegbar, jedoch überall — auch in Italien und Hellas selbst
- ohne wirklichen Nationalcharakter^. Daß aus diesen Zustän-
Mission der römischen Politik tief durchdrungen. Roms Herrschaft ist ihm
eine Xotwendigkeit, weil sie allein den gentilen Krieg aller gegen alle verhin-
dert: nam pulsis, quod di prohibeant, Romanis quid aliud quam bella omnium
inter se gentium existent? (hist. IV, 74). Eben in dieser nattirlichen Zer-
rissenheit des ethnischen Lebens erblickt er dann auch die Rettung des sin-
kenden Reiches vor der Gewait des unüberwindlich befundenen Restes der
freien Völker: maneat, quaeso, duretque gentibus, si non amor nostri, at certe
odium sui! (Germ. 33). — Selbst der Meister und Auftraggeber des Orosius,
Augustinus, hält sich seinerseits von jeglicher Sympathie mit den überwun-
denen Nationen frei. An Sallust anknüpfend, erblickt er in ungerechter Er-
oberung freilichRaub, in den Kriegen derRömer jedochdasRecht überwiegend
auf deren Seite. Das friedliche Nebeneinanderbestehen nationaler Kleinstaaten
möchte er hypothetisch vorziehen; allein, wie die Welt einmal ist, bleibt
Kampf ein notwendiges, und Sieg der Gerechteren das kleinere Übel. Außer
dem Krieg an sich aber ist der Verlust dei' nationalen Selbständigkeit kein
Unglück, die allgemeine weltbürgerliche Gleichheit eher ein Gliick; fiir das
individuelle und soziale Dasein in der Gegenwart hat die Unterscheidung
von Siegern und Besiegten keinen Wert (de civ. Dei III, 10; IV, 6; 15; V,
12 sq.; 17).
i Da ε-9-νος ursprünglich keinen nationaien, sondern einen herkömmlichen
Verband beliebiger Art bezeichnete, so erhielt es sich jederzeit auch als Name
für die Volksgemeinde schlechthin und kommt in diesem Sinne auch inner-
halb des römischen Reiches bis in die spätesten Tage vor. So bekommen
nicht bloß die Bevölkerungen einzelner kleinasiatischer Landschaften noch
in den Novellen Justinians (XXIV, 1; ΧΧλ^, pr.; XXIX, pr.; I; XXX, pr.)
den Titel εθνος; es wird vielmehr daselbst (XV, 3; 4; 6) der Provinzialkörper
überhaupt zur Abwechslung mit έπκρχίκ mit diesem Namen belegt, weshalb
denn in der Übersetzung ebenfails provincia mehrmals mit gens vertauscht
w ird. Es wäre sehr verfehlt, wollte man aus diesem Sprachgebrauch auf die
Fortdauei' nationaler Gesichtspunkte in der Reichsvenvaltung schließen;
denn an die XVlkerschafP auf gentilem Grunde wird hierbei gar nicht ge-
dacht. — Wie auf der anderen Seite das Römertum selber durch die Mischung
litt, deutet Isidor an (etym. I, 32,1): unaquaeque gens facta Romanorum cum
ALFRED DOVE:
talischen Geschichte abgezogene Theorie der verhängnisvohen
Aufeinanderfolge von immer gewaltigeren Weltherrschaften —
die sogenannte Viermonarchienfehre des Buches Daniel — eben
seit der Ausbildung des Cäsarenreiches eine für das Altertum
überhaupt abschließende furchtbare Wahrheit. In dem ungeheuren
Gebiet des orbis erscholl fortan ein und dasselbe nomen Roma-
num; was sich an ihm erkannte, war statt des alten gewaltigen
Bürgervolkes eine Reichsbevölkerung von vielen Millionen Men-
schen, halb mit lateinischem, halb mit griechischem Anstrich,
auch im übrigen nicht etwa homogen, in gewisse provinziale Grup-
pen zerlegbar, jedoch überall — auch in Italien und Hellas selbst
- ohne wirklichen Nationalcharakter^. Daß aus diesen Zustän-
Mission der römischen Politik tief durchdrungen. Roms Herrschaft ist ihm
eine Xotwendigkeit, weil sie allein den gentilen Krieg aller gegen alle verhin-
dert: nam pulsis, quod di prohibeant, Romanis quid aliud quam bella omnium
inter se gentium existent? (hist. IV, 74). Eben in dieser nattirlichen Zer-
rissenheit des ethnischen Lebens erblickt er dann auch die Rettung des sin-
kenden Reiches vor der Gewait des unüberwindlich befundenen Restes der
freien Völker: maneat, quaeso, duretque gentibus, si non amor nostri, at certe
odium sui! (Germ. 33). — Selbst der Meister und Auftraggeber des Orosius,
Augustinus, hält sich seinerseits von jeglicher Sympathie mit den überwun-
denen Nationen frei. An Sallust anknüpfend, erblickt er in ungerechter Er-
oberung freilichRaub, in den Kriegen derRömer jedochdasRecht überwiegend
auf deren Seite. Das friedliche Nebeneinanderbestehen nationaler Kleinstaaten
möchte er hypothetisch vorziehen; allein, wie die Welt einmal ist, bleibt
Kampf ein notwendiges, und Sieg der Gerechteren das kleinere Übel. Außer
dem Krieg an sich aber ist der Verlust dei' nationalen Selbständigkeit kein
Unglück, die allgemeine weltbürgerliche Gleichheit eher ein Gliick; fiir das
individuelle und soziale Dasein in der Gegenwart hat die Unterscheidung
von Siegern und Besiegten keinen Wert (de civ. Dei III, 10; IV, 6; 15; V,
12 sq.; 17).
i Da ε-9-νος ursprünglich keinen nationaien, sondern einen herkömmlichen
Verband beliebiger Art bezeichnete, so erhielt es sich jederzeit auch als Name
für die Volksgemeinde schlechthin und kommt in diesem Sinne auch inner-
halb des römischen Reiches bis in die spätesten Tage vor. So bekommen
nicht bloß die Bevölkerungen einzelner kleinasiatischer Landschaften noch
in den Novellen Justinians (XXIV, 1; ΧΧλ^, pr.; XXIX, pr.; I; XXX, pr.)
den Titel εθνος; es wird vielmehr daselbst (XV, 3; 4; 6) der Provinzialkörper
überhaupt zur Abwechslung mit έπκρχίκ mit diesem Namen belegt, weshalb
denn in der Übersetzung ebenfails provincia mehrmals mit gens vertauscht
w ird. Es wäre sehr verfehlt, wollte man aus diesem Sprachgebrauch auf die
Fortdauei' nationaler Gesichtspunkte in der Reichsvenvaltung schließen;
denn an die XVlkerschafP auf gentilem Grunde wird hierbei gar nicht ge-
dacht. — Wie auf der anderen Seite das Römertum selber durch die Mischung
litt, deutet Isidor an (etym. I, 32,1): unaquaeque gens facta Romanorum cum