Metadaten

Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0073
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Studien zur Yorgeschichte des deutschen A'olksnamens.

73

Sohn der Gut-thiuda machte seinem Nachdenken über die natio-
nale Eigenart sicheriich am deuthchsten und kräftigsten durch
das Adjektiv 'gotisch' Luft; und auch, was ihm an Fremdlingen
oder Feinden als 'voiksmäßig' auffiel, wird er der konkreten An-
schauung jener Tage gemäß wohl in jedem einzelnen Fall als
fränkisch, römisch oder hunnisch bezeichnet haben.
Es ist fast überflüssig, zu betonen, daß dies insbesondere
auch von der nationalen Sprache gilt. Den selbstverständlichen
Namen Gothica lingua haben uns Auxentius, der Schüler des
Ulfilas, sowie Jordanis wenigstens in dieser lateinischen Fassung
aufhewahrU. Mit dem Umfange der lebendigen gotischen thiuda
fiei das Gebiet dieser gotischen razda übrigens schon darum nicht
zusammen, weil die letztere, ebenso wie der Volksname selbst,
der westlichen wie der östiichen gens Gothorum gleichzeitig zu-
kam. Ja, nach Jordanis haben auch die Gepiden, denen er eine
unzweifelhaft gotische Herkunft beimißt, noch im 6. Jahrhundert
durchaus die nämliche Mundart gesprochen; er führt sie mit Ost-
und Westgoten zusammen als omnis ubique iinguae hujus natio
auf^. Man sieht, daß die Vorstellung einer an der gemeinsamen
Sprache erkennbaren Nationalität jenen Zeiten nicht abging.
Diese natio, weiche drei gentes in sich schiießt, ist indes mit der
Völkerschaft nicht. zu verwechseln; und gesetzt selbst, ein Gote
hätte an jener Stelle natio durch thiuda wiedergeben können, so
wäre damit eigentlich noch nicht von einer 'Volkssprache', sondern
umgekehrt von einem 'Sprachvolke' die Rede gewesen. Doch
eineriei: die Sprache dieser natio mochte dem Gepiden vielleicht
gepidisch heißen, der Gote seiber konnte auch sie wohi wieder
nur gotisch nennen. Und so behauptet denn Prokop ausdrücklich
von allen ΓοτΕηί& έ-9-νη, unter denen er Ostgoten, Vandalen, West-
goten und Gepiden bloß als die wichtigsten hervorhebt, daß sie
neben anderen gemeinschaftiichen physischen und geistigen Eigen-
schaften und Gewohnheiten auch eine einzige Sprache, die soge-

i Auxentius bei WAiTz, Leben des Ulfila S. 19 Grecam et Latinam et
Goticam linguam; Jord. Get. 58 lingua Gothica; cf. Cassiod. h. tripart. VIII,
13 Vulphilas Gothorum episcopus litteras Gothicas adinvenit et scripturas
divinas in eam convertit linguam, aus Socrat. h. e. IV, 34 γρ&μμκτκ Γοτ-8-ί.χκ
... εΐς τήν Γότ-9-ων s. WAITZ a. a. O. S. 60.
^ Get. 133; cf. 131; 95. — Vgl. o. S. 36, A. 2, wo schon bemerkt, daß natio
hier gar nicht 'VoIk' bedeutet, vielmehr zu übersetzen ist: 'alles, was irgend
von Geburt dieser Sprache angehört'.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften