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Dove, Alfred; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1916, 8. Abhandlung): Studien zur Vorgeschichte des deutschen Volksnamens — Heidelberg, 1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.34079#0072
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72

ALFRED DOVE:

Erwähnen wir noch flüchtig, daß auch für die Wiedergabe
von gentilis, wo es soviel als βάρβκρος heißt, durch ein gotisches
thiudisks kein Bedürfnis vorlag, da wenigstens durch Ulfilas das
Fremdwort 'barbarus' selbst ins Gotische aufgenommen worden^,
so läßt sich das Ergebnis unserer Beobachtung folgendermaßen
zusammenfassen. Aus demPlurafe tantum thiudai, welches in An-
passung an das griechische τά έΕνη zum gotischen Namen für
'die Heiden, die Heidenvölker, die Heidenwelt' erhoben worden,
ward an einer einzelnen Bibelstelle aus besonderen stilistischen
Beweggründen ein Adverb thiudisko = έΕνί,χώς auf dem Wege
literarischer Kunstschöpfung erstmals entwickelt. Ob sich daran
nachträglich die analoge Bildung eines Adjektives thiudisks ge-
schiossen, das natürlich gleichermaßen lediglich eine Beziehung
auf das Heidentum ausgedrückt haben würde, läßt sich weder
bejahen noch verneinen. Eine historische Spur vmn dessen Dasein
zeigt sich nirgends; die Wahrscheinlichkeit seiner Existenz wird
verringert durchdieTatsache, daß es, wenn schon vermutlich etwas
später, nach dem Muster des lateinischen paganus auch in der
gotischen Sprache zur Bildung einer anderen Bezeichnung des
heidnischenWesens kam, die eine nachhaltigeLebenskraft bewies.
Im höchsten, hart an die bestimmteste Verneinung streifenden
Maße unwahrscheinlich ist es dagegen, daß von dem einheimischen
Begriff und Namen thiuda = 'VöIkerschaft, Volk, Nation' jemals
ein gotisches Eigenschaftswort thiudisks hergeleitet worden sei.
Vom Standpunkt der Sprachgeschichte aus läßt sich nur sagen,
daß, soviel wir wissen, die Goten einen einfachen, direkten Aus-
druck für die Iclee des 'Volksmäßigen,Volkstümlichen, Nationalen'
in Gestalt eines Adjektives der Beziehung nicht besessen haben.
Ein Besultat, das auch unter allgemein historischem Gesichts-
punkte betrachtet keineswegs in Erstaunen setzt. Müssen doch
selbst wir, wie die eben angeführten Wörter dartun, uns zur unmit-
telbaren Vergegenwärtigung jener Idee teils mit ganz modernen,
künstlichen Bildungen, teils gar mit einem Fremdworte behelfen.
Es gehört zur bewußten Formulierung besagter Idee eben ein ver-
hältnismäßig hoher Grad von Abstraktion, wie er der Frühe eines
naiven Volkslebens von Natur fremd war. Vom 'Volkstum' brauchte
man gewiß am wenigsten gerade zu einer Zeit zu reden, wo nicht
viel weniger als alles in Wirklichkeit 'volkstümlich' war. Der

^ Kol. 3, 11.
 
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