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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0018
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18

R. Reitzenstein:

Mit dem allem ist freilich zunächst nur erwiesen, daß Mani
den Mythos von dem göttlichen Urmenschen1 altiranischer
Tradition entnommen hat, ja selbst das nur in einer gewissen
Beschränkung; wir können die Einwirkung babylonischer Vor-
stellungen auf sie- nicht abgrenzen. Das trifft natürlich in ver-
stärktem Maße auf die entsprechende Vorstellung der ürseele
zu2. Für alle die, welche verlangen, daß ein Mythos oder eine
religiöse Vorstellung, die im Hellenismus wirkt, auf ihre letzten
Bestandteile und Mischungsverhältnisse analysiert und etikettiert
sei, wie eine Flasche Mineralwasser, ehe man sie benutzt, ist also
bisher nichts gewonnen. Ich werde im folgenden der Kürze halber
'iranisch’ nennen, was sich in relativ früher Zeit auf iranischem
Boden nachweisen läßt, gebe aber willig die Unsicherheit über
den letzten Ursprung zu, die sich mit solcher Etikettierung zur
Zeit noch, ja vielleicht auch für immer verbindet. Mögen sich
gleich die Zeugnisse, welche die Unsicherheit über die 'Provenienz’
zu erhöhen geeignet sind, hier anschließen. Leser, die wie hastige
Touristen von einem Aussichtspunkt zum anderen streben, mögen
die folgenden beiden Paragraphen überschlagen.
2.
Auf innerasiatisches Gebiet führen uns auch die sogenannten
chaldäischen Orakel, welche in ihrer griechischen metrischen
Gestalt etwa ins Ende des zweiten Jahrhunderts n. Chr. gehören3.
Dem Theurgen erscheint die Göttin Psyche selbst und belehrt
ihn über die höchsten Gottheiten (Proclus in Tim. 1 408, 14;
II 61, 24 Diehl):
μετά Sk πατρικάς διάνοιας
Ψυχή εγώ ναίω -9-έρμτ] ψυχουσα τά πάντα4.
1 Von dem Gotte πρώτος άνθρωπος. Den Gedanken an einen ersten
Menschen in weiterem Sinne behandle ich so wenig wie den einer Personifi-
zierung der ψυχή.
2 Daß sie nicht aus einem christlich-gnostischen System in den Mani-
chäismus übernommen sein kann, \vird sich später noch zwingender zeigen.
3 Vgl. W. Kroll, Oracula Clialdaica, Breslauer philol. Abhandl. VII 1.
4 Die Form derartiger Offenbarungen hat Norden, Agnostos Theos
188ff., besprochen; weitere Beispiele geben die Zauberpapyri. Für frühzei-
tige dichterische Behandlung derartiger Offenbarungsliteratur verweise ich
auf Ovid, der in den Fasti offenbar hellenistischen Vorbildern folgt.
 
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