Metadaten

Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0063
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Die Göttin Psyche.

63

unterdrücken. Allerlei Ausgleichungsversuche erfolgen, aber sie
bleiben unbefriedigend und müssen es bleiben, da die gegebenen
Voraussetzungen, ein System von drei πάθη der Seele, ein anderes von
zwei Elementen der Materie, endlich die innere Verbindung der πάθη
und der Materie, sich überhaupt nicht vereinigen lassen. Klar aber
ist, daß die Vorstellung dieser πάθη nicht auf dem philosophischen
Begriff der 'Leidenschaft’ beruht; sie sind einfach die Plagen oder
Leiden der Seele. Es ist lehrreich dabei zu beobachten, wie die
Empfindung, daß Achamoth ursprünglich die Seele ist, immer wieder
durchbricht und selbst die Gleichsetzung der Psyche und des
πρώτος άνθρωπος noch empfunden wird1. Tertullian (cap. 9 p. 188 ,1
Kroymann) hat offenbar eine Quelle vor sich, wenn er die
Ενθύμησής oder Άχαμώθ als animatio bezeichnet; der Begriff
der Ψύχωσις wird uns schon im nächsten Abschnitt in einer rein
heidnischen Quelle wieder begegnen.
Die Hermetische Schrift, auf die ich jetzt endlich den Blick
zurücklenke, hat das gleiche durchaus eigenartige System der
drei Leiden, die sich in einem vierten zusammenfassen, zeigt aber
- trotz der Umdeutung des einen, der άπορία, und trotz des Ab-
streifens aller kosmogonischen Spekulationen — noch die alte
Beziehung dieser πάθη auf die Seele. Ich sehe nicht, wie man dem
Schluß entgehen kann, daß ihr Original bis in die Zeit der Gnosis
hinaufreicht. Dies Original scheint sogar, genau wie die bei Irenaeus
benutzte valentinianische Schrift, auf den Seelenhymnus der
Naassener Bezug genommen zu haben und ihn vorauszusetzen,
natürlich dann, da der Verfasser ja hermetischen Kreisen ange-
hörte, in seiner ursprünglichen, d. h. heidnischen und auf Hermes
gestellten Form. In der arabischen Schrift schildert Hermes der
Seele im Gegensatz zu ihrer früheren Würde ihre jetzige Verfas-
sung und beschreibt ihr Verhalten mit Worten, die für mich auf-
fällig mit dem Naassener-Hymnus zusammenstimmen (cap. 2 § 4)
1 Vgl. Excerpta ex Theodoto 50 p. 123, 9ff. über die ψυχή ζώσα und ferner
des Origenes Vermutungen über dieQuelle desCelsus Contra CelsumY I 35 p. 105,
Kötschau ψυχή δέ ζώσα τάχα μέν έν άπορρήτοις λέλεκται παρά τισι των άπό
Ούαλεντίνου εις τον ύπ’ αύτών όνομαζόμενον ψυχικόν δημιουργόν. Auf Julian,
bei dem Attis ebenfalls Weltseele und δημιουργός ist (er ist ja der iranische
πρώτος άνθρωπος geworden), verweise ich beiläufig. Die philosophische Über-
arbeitung ist bei ihm stärker. Die bei Gelsus wirklich gemeinten Gnostiker
hatten natürlich ebenfalls ein von iranischen Gedanken beeinflußtes System,
wenn sie von einer Προυνικοΰ τίνος ρέουσα δύναμις (vgl. oben S. 19 die chal-
däischen Orakel) und einer ψυχή ζώσα sprachen.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften