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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0065
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Die Göttin Psyche.

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Zeit erfährt. Mehr in der Wa hl der Traditionen, ihrer Verbindung
und ihrem spekulativen Ausbau in der Deutung als in völlig freier
Erfindung kann die einzelne Persönlichkeit ihre religiöse Schaffens-
kraft zeigen. Das Empfinden für die Autorität und das Betonen
der individuellen Freiheit durchkreuzen sich hier ganz eigenartig.
Hierin liegt ein Grundzug aller Gnosis.
Den außerhalb dieser Literatur stehende Leser wird freilich
wohl gegen die ganze Annahme bedenklich stimmen, daß die
arabische Schrift gar nicht mehr den Eindruck der Offenbarungs-
schrift macht, der ihr nach dieser Auffassung und dem Gegenbild
in dem Naassener-Hymnus eigentlich zukommt. Sie trägt rein
paränetischen Charakter; die Zusammenhänge mit der Kosmo-
gonie sind aufgegeben, bezw. durch philosophische Umdeutungen
ersetzt. Allein diesen Charakter zeigen eine große Anzahl der
Unterweisungen des gefangenen 'ersten Menschen’ durch den
göttlichen Boten. Schon Flügel Mani S. 253 ist etwas befremdet
über die Andeutung dieser Belehrung im. Fihrist und wäre noch
befremdeter gewesen, wenn er den Bericht des Theodor bar Khöni
und die mandäischen Adams-Lieder oder die harranitische Lehre
von der Seele1 damit hätte vergleichen können. Aber das eigentlich
Wirksame in all diesen Sekten, auch bei den Valentinianern, ist
ja die Askese, die sie als Mittel der Rückkehr zu Gott lehren; sie
konnte und mußte an dieser Stelle der Kosmogonie mit berück-
sichtigt werden, eben weil der erste Mensch oder die Allseele typisch
für alle Menschen und Seelen sein soll. Anderseits entwickelt sich
überall offenbar früh die Form, den Moralkodex mit einer kosmo-
gonischen Einleitung zu verbinden: der 'erste Gesandte’ bringt
ihn dem göttlichen Vertreter der Menschheit. Ein klassisches Bei-
spiel bietet das erste Stück im rechten Genzä der Mandäer
(W. Brandt Mandäische Schriften S. 24ff.)- Schon früh mögen
sich dabei auch Begriffe griechischer Philosophie eingefügt haben2 * *.

1 Vgl. ob. S. 11 ff. 20. Eine ganze Adamsliteratur läßt sich hier vergleichen,
welche die Ausführungen von Frau Luise Troje (Jahrgang 1916, Abh. 17
dieser Sitzungsberichte) ergänzt, vgl. auch die oben S.55 erwähnte jüdische
Lehre Gottes an Adam.
2 In Manis System haben sie eigentlich keinen Platz. Besonders wo der
Begriff des νους eine größere Rolle spielt (z. B. im Poimandres), erkennen
wir meist Einflüsse aus stärker hellenisierten Religionen. Ich habe bisher
den Eindruck, daß man den ausgeprägten Begriff der Psyche ebenso wie die
mythologische Vorstellung vom Urmenschen als Kennzeichen für 'iranische5

Sitzungsberichte der Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1917. 10. Abh.

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