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Reitzenstein, Richard; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1917, 10. Abhandlung): Die Göttin Psyche in der hellenistischen und frühchristlichen Literatur — Heidelberg, 1917

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https://doi.org/10.11588/diglit.37643#0089
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Die Göttin Psyche.

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’Έρος δ’ αύτέ μ’ δ λυσιμελής δονεί, γλυκύπικρον άμάχανον δρπετόν,
konnte nie recht befriedigen. Seit wir von einem orientalischen
Mythos wissen, in welchem die göttliche Psyche dem Herrscher
der Finsternis zum Fraß ausgesetzt wird, weil ihr Vater, der Licht-
könig, und sein ganzes Reich vor dessen Angriff erzittern, scheint
er mir einfach ausgeschlossen. Die Übereinstimmungen sind in der
Tat so handgreiflich, daß man fast verblüfft wird. So wird z. B.
der manichäische Herrscher der Finsternis im. Fihrist (Flügel,
Mani S. 86) geschildert: „sein Haupt wie das Haupt eines Löwen,
sein Leib wie der Leib eines Drachen, seine Flügel wie
die Flügel eines Vogels, sein Schwanz wie der Schwanz eines
großen Fisches und seine vier Füße wie die Füße des kriechenden
Tieres.“ Die Schilderung ist für sehr alte Zeit durch die entsprechende
Beschreibung des Dämons Ur bei den Mandäern (Genzär.280) ge-
sichert: „den Kopf des Löwen, den Leib des Drachen, die Flügel des
Adlers, die Flanken der Schildkröte, die Hände und Füße des Un-
holds“ (W. Brandt, Mandäische Schriften S.226)1. Ich hebe besonders
hervor, daß gerade die Züge, aus denen man den Märchencharakter
erschließen wollte, am genauesten in dem Mythos wiederkehren.
Von anderen Anklängen führe ich nur den wieder bei Apuleius
durch nichts motivierten Sturz der Psyche an, der sie zunächst in
eine Welt scheinbarer Wonnen bringt, dann ihre Sehnsucht nach
Heimat und Vaterhaus, ihr Irren und Suchen, ihren Aufstieg unter
Leitung eines Gottes, endlich die himmlische Hochzeit2. Das genügt,
um einen Zusammenhang sicher zu stellen, genügt aber freilich
nicht, um den Mythos irgendwie in jene Kosmogonie einzuordnen.
Einen Ausweg zeigt das fünfte der mir von Prof. Andreas
gütig zur Verfügung gestellten Fragmente aus Turfän, das jetzt
nähere Prüfung verlangt (M 5): „Von mir ist erbaut worden ein
Palast und eine Wohnung gute Ruhe besitzend für die Psyche
des Lebenshauches.“ Ein Gott spricht jedenfalls, und es handelt
sich offenbar um jenen Zauberpalast und das Lager darin, die

1 Eine reiche Auswahl ähnlicher Beschreibungen bietet der in der Fest-
schrift für Fr. C. Andreas behandelte Parallel-Mythos vom Drachenkampf
(Flügel a. a. O. S. 193 gibt weitere). Phantastische Ausmalungen liegen natür-
lich immer nahe. Auch in dem iranischen Einleitungsteil des Poimandres
heißt es § 4: σκότος φοβερόν τε καί στυγνόν, σκολιώς έσπειραμένον ώς είκάσαι με
<δράκοντι>. Über die babylonische Tiämat vgl. die Festschrift.
2 Allerdings für den Urmythos nur bei den Valentinianern bezeugt,
die ja die Achamoth für Psyche einsetzen.
 
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