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R. Reitzenstein:
zurückträgt, gegliedert; sie beherrschen das Ganze. Überzogen
ist die Fläche mit Weinranken, in denen erntende Eroten ihr frohes
Wesen treiben. Bedeutungsvoll scheint nur die eine Szene auf der
rechten Hälfte oben: Eros sitzt auf einem Ast, in der linken Hand
eine leere Schale, die rechte trauernd auf sein Haupt gelegt; von
links kommt schnellen Schrittes Psyche und bringt ihm ein Ernte-
körbchen mit Trauben. Daß es gerade ein Körbchen mit Trauben
ist, liegt offenbar in der dekorativen Idee, die der Künstler seiner
Vorlage entnahm. Die Schale in der Hand des Eros paßt schlecht
dazu. In der Vorlage des eingelegten Bildchens wird Psyche ein
Fläschchen oder einen Krug gebracht haben. Wir erhalten damit
ein Gegenstück zu der Darstellung der Kairiner Kanne (frühere
Abhandlung S. 9 und Tafel II 5), auf welcher Eros der vor ihm
knienden Psyche den Trank der Unsterblichkeit bringt. Der
Künstler hat sich, wie Frau Troje mir nachweist, für die Dar-
stellungen ganz an Vorlagen der plastischen Kunst angeschlossen
und die ihm zugänglichen Darstellungen beflügelter Genien (Ero-
ten) geschickt kombiniert. Bei der Gruppe Eros und Psyche
könnte man zweifeln, ob sie aus der Verbindung zweier Vorlagen
entstanden ist, da die Figur der Psyche feiner als die des Eros
ausgeführt scheint; sie ist überhaupt die beste in der ganzen Dar-
stellung. Doch lassen sich hierfür verschiedene Erklärungen
denken, und an sich paßt die Gruppendarstellung gut in die Er-
zählung, die dem Apuleius vorausgelegen haben muß. Ich habe
schon früher darauf hingewiesen, daß in der erhaltenen Fassung
das Siechtum des Eros ganz unerklärt ist, also durch eine Tradi-
tion gegeben sein muß1, und habe daraus geschlossen, daß Psyche
das Lebenswasser in dem Fläschchen ihm bringt. So ist die Schale
in der Hand des Eros berechtigt, ebenso seine Geberde der Ver-
zweiflung. Auch der Umstand, daß in den wenigen Darstellungen
so oft Szenen sich streng entsprechen, weist darauf, daß die Ver-
bindung ursprünglich ist. Wir erhalten ein weiteres Glied in der
Kette der Darstellungen einer Erzählung. Daß der Künstler eine
symbolische Bedeutung noch empfand, scheint mir fast sicher2.
1 Wieder erklärt sich, was bei Apuleius unverständlich blieb, durch
den zugrundeliegenden Mythos; die υλη wird ja gerade durch die Verbindung
mit der ψυχή kraftlos, ja wie vergiftet.
2 Man vergleiche auf dem Sarkophag von S. Callisto (Abbildung auch
bei v. Sybel, Christliche Antike Band II Abbild. 11), wie aufdringlich die
Gruppe von Eros und Psyche neben den guten Hirten gestellt ist.
R. Reitzenstein:
zurückträgt, gegliedert; sie beherrschen das Ganze. Überzogen
ist die Fläche mit Weinranken, in denen erntende Eroten ihr frohes
Wesen treiben. Bedeutungsvoll scheint nur die eine Szene auf der
rechten Hälfte oben: Eros sitzt auf einem Ast, in der linken Hand
eine leere Schale, die rechte trauernd auf sein Haupt gelegt; von
links kommt schnellen Schrittes Psyche und bringt ihm ein Ernte-
körbchen mit Trauben. Daß es gerade ein Körbchen mit Trauben
ist, liegt offenbar in der dekorativen Idee, die der Künstler seiner
Vorlage entnahm. Die Schale in der Hand des Eros paßt schlecht
dazu. In der Vorlage des eingelegten Bildchens wird Psyche ein
Fläschchen oder einen Krug gebracht haben. Wir erhalten damit
ein Gegenstück zu der Darstellung der Kairiner Kanne (frühere
Abhandlung S. 9 und Tafel II 5), auf welcher Eros der vor ihm
knienden Psyche den Trank der Unsterblichkeit bringt. Der
Künstler hat sich, wie Frau Troje mir nachweist, für die Dar-
stellungen ganz an Vorlagen der plastischen Kunst angeschlossen
und die ihm zugänglichen Darstellungen beflügelter Genien (Ero-
ten) geschickt kombiniert. Bei der Gruppe Eros und Psyche
könnte man zweifeln, ob sie aus der Verbindung zweier Vorlagen
entstanden ist, da die Figur der Psyche feiner als die des Eros
ausgeführt scheint; sie ist überhaupt die beste in der ganzen Dar-
stellung. Doch lassen sich hierfür verschiedene Erklärungen
denken, und an sich paßt die Gruppendarstellung gut in die Er-
zählung, die dem Apuleius vorausgelegen haben muß. Ich habe
schon früher darauf hingewiesen, daß in der erhaltenen Fassung
das Siechtum des Eros ganz unerklärt ist, also durch eine Tradi-
tion gegeben sein muß1, und habe daraus geschlossen, daß Psyche
das Lebenswasser in dem Fläschchen ihm bringt. So ist die Schale
in der Hand des Eros berechtigt, ebenso seine Geberde der Ver-
zweiflung. Auch der Umstand, daß in den wenigen Darstellungen
so oft Szenen sich streng entsprechen, weist darauf, daß die Ver-
bindung ursprünglich ist. Wir erhalten ein weiteres Glied in der
Kette der Darstellungen einer Erzählung. Daß der Künstler eine
symbolische Bedeutung noch empfand, scheint mir fast sicher2.
1 Wieder erklärt sich, was bei Apuleius unverständlich blieb, durch
den zugrundeliegenden Mythos; die υλη wird ja gerade durch die Verbindung
mit der ψυχή kraftlos, ja wie vergiftet.
2 Man vergleiche auf dem Sarkophag von S. Callisto (Abbildung auch
bei v. Sybel, Christliche Antike Band II Abbild. 11), wie aufdringlich die
Gruppe von Eros und Psyche neben den guten Hirten gestellt ist.