Die Göttin Psyche.
103
Auf frühhellenistische Zeit muß diese Erzählung zurückgehen;
das zeigen die Typen der Darstellungen. Ebenso zeigen sie, daß die
Erzählung in Alexandria entstanden ist — man denke an die
Kränze. Die christliche Kunst bestätigt uns das; nur in Rom, wo
für diese Zeit Nachahmung Alexandriens sicher ist, scheint die
Grabkunst derartig stark beeinflußt. In Gallien, das unter syri-
schen Einwirkungen steht, findet sich auf den Sarkophagen Eros
und Psyche nicht1. Auf die Vorstellungen der eingeborenen Bevöl-
kerung Ägyptens ferner hat sie nicht eingewirkt; nie finden wir
in diesen Darstellungen statt des Eros sein ägyptisches Gegenbild
Harpokrates2. Die Typen sind durchaus einheitlich3; man könnte
fast an einen Zyklus denken. Die Wiederholungen gehen durch
fünf bis sechs Jahrhunderte. Damit ist mir jeder Gedanke an die
Einwirkung eines Märchens so vollständig unmöglich gemacht,
daß ich gerade dies Beispiel als sichersten Beweis gegen die Rich-
tigkeit der in der Märchenforschung zurzeit verwendeten Methode
benutzen würde4. Freilich ebenso ausgeschlossen scheint mir auch
die Annahme Helms5, es handle sich bei dem Vorbilde des Apu-
leius um einen mäßigen Roman, der nur ein pikantes Abenteuer
eines beliebigen Mädchens namens Psyche mit dem Gotte Eros
erzählen wollte. Sein Schreiber habe den Frauennamen Psyche
gewählt, da der ihm für die zum Schluß notwendig scheinende
Apotheose (!) gerade paßte. Daß dieser Einfall eines mindestens
geschmacklosen Alexandriners auf die Kunst seiner Zeit und die
religiösen Vorstellungen der folgenden Jahrhunderte derartigen
Einfluß geübt haben sollte, ist eine mir unmögliche Vorstellung.
So starke religiöse Wirkungen übt nur eine von Haus aus religiös
gestimmte Schöpfung, so starke künstlerische Wirkung nur ein
echtes Kunstwerk. Es fragt sich, wieweit das bildliche Material
uns gestattet, ihm noch nahe zu kommen; ich stelle zusammen,
was wir bisher wissen. Mit einem Gatten, der sich ihr immer nur
1 Leclerq bei Cabrol, Dictionnaire de VArcheologie chretienne I p. 1475.
2 Im Zauber ist die Vermischung' allerdings eingetreten, vgl. oben S. 91.
3 Mit Ausnahme der Terrakottengruppe von Naukratis, vgl. oben S. 94.
4 Die neueste Verteidigung dieser Auffassung durch J. A. Schroeder,
De Amoris et Psyches fabella Apuleiana, Amsterdam 1916, war mir nicht
zugänglich; ich benutze Helms Referat.
° Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum XXXIII S. 170ff. Helm hat
sie seitdem in Rezensionen wiederholt vorgetragen, ohne auf die von mir
in der früheren Abhandlung geltend gemachten Gründe oder das archäologische
Material einzugehen.
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Auf frühhellenistische Zeit muß diese Erzählung zurückgehen;
das zeigen die Typen der Darstellungen. Ebenso zeigen sie, daß die
Erzählung in Alexandria entstanden ist — man denke an die
Kränze. Die christliche Kunst bestätigt uns das; nur in Rom, wo
für diese Zeit Nachahmung Alexandriens sicher ist, scheint die
Grabkunst derartig stark beeinflußt. In Gallien, das unter syri-
schen Einwirkungen steht, findet sich auf den Sarkophagen Eros
und Psyche nicht1. Auf die Vorstellungen der eingeborenen Bevöl-
kerung Ägyptens ferner hat sie nicht eingewirkt; nie finden wir
in diesen Darstellungen statt des Eros sein ägyptisches Gegenbild
Harpokrates2. Die Typen sind durchaus einheitlich3; man könnte
fast an einen Zyklus denken. Die Wiederholungen gehen durch
fünf bis sechs Jahrhunderte. Damit ist mir jeder Gedanke an die
Einwirkung eines Märchens so vollständig unmöglich gemacht,
daß ich gerade dies Beispiel als sichersten Beweis gegen die Rich-
tigkeit der in der Märchenforschung zurzeit verwendeten Methode
benutzen würde4. Freilich ebenso ausgeschlossen scheint mir auch
die Annahme Helms5, es handle sich bei dem Vorbilde des Apu-
leius um einen mäßigen Roman, der nur ein pikantes Abenteuer
eines beliebigen Mädchens namens Psyche mit dem Gotte Eros
erzählen wollte. Sein Schreiber habe den Frauennamen Psyche
gewählt, da der ihm für die zum Schluß notwendig scheinende
Apotheose (!) gerade paßte. Daß dieser Einfall eines mindestens
geschmacklosen Alexandriners auf die Kunst seiner Zeit und die
religiösen Vorstellungen der folgenden Jahrhunderte derartigen
Einfluß geübt haben sollte, ist eine mir unmögliche Vorstellung.
So starke religiöse Wirkungen übt nur eine von Haus aus religiös
gestimmte Schöpfung, so starke künstlerische Wirkung nur ein
echtes Kunstwerk. Es fragt sich, wieweit das bildliche Material
uns gestattet, ihm noch nahe zu kommen; ich stelle zusammen,
was wir bisher wissen. Mit einem Gatten, der sich ihr immer nur
1 Leclerq bei Cabrol, Dictionnaire de VArcheologie chretienne I p. 1475.
2 Im Zauber ist die Vermischung' allerdings eingetreten, vgl. oben S. 91.
3 Mit Ausnahme der Terrakottengruppe von Naukratis, vgl. oben S. 94.
4 Die neueste Verteidigung dieser Auffassung durch J. A. Schroeder,
De Amoris et Psyches fabella Apuleiana, Amsterdam 1916, war mir nicht
zugänglich; ich benutze Helms Referat.
° Neue Jahrbücher f. d. klass. Altertum XXXIII S. 170ff. Helm hat
sie seitdem in Rezensionen wiederholt vorgetragen, ohne auf die von mir
in der früheren Abhandlung geltend gemachten Gründe oder das archäologische
Material einzugehen.