Zur ältesten arabischen Algebra und Rechenkunst.
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So gewinnt das Bild, das wir von Muhammad b. Müs äs wis-
senschaftlichem Lebenswerk erhalten, mehr und mehr an Inhalt. Wir
sehen unsern Autor inmitten einer hochstrebenden, von allen Seiten
wissenschaftliche Anregung suchenden und empfangenden Gelehrten-
welt, als Mitglied einer Akademie, die in der von Härün al Rasid
begründeten, von Alma’mün freigebig geförderten Bibliothek zu
Bagdad ihren geistigen Mittelpunkt hatte. In erster Linie Astronom
und Astrolog, stützte sich der einem altpersischen Geschlecht1 ent-
stammende Gelehrte zunächst wohl auf persische und indische
Überlieferung. Indische Werke über die mathematischen Hilfswissen-
schaften und persönlicher Verkehr mit indischen Astronomen mögen
ihm die Anregung zur Abfassung der beiden Schriften über die
indische Rechenkunst und über die wichtigsten Kapitel des ange-
wandten Rechnens gegeben haben. Griechische Vorlagen kommen,
falls überhaupt vorhanden, für die Algebra erst in zweiter Linie;
eine originale Leistung scheint in dem Kapitel über die Erbteilungs-
aufgaben vorzuliegen.
Dieses aus der Untersuchung der Algebra und der übrigen
Schriften Muhammad b. Müs äs gewonnene Ergebnis steht durch-
aus im Einklang mit der Tatsache, daß sich die griechischen Quellen
den Arabern erst im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts durch um-
fassende Übersetzertätigkeit erschlossen. Es ist unabhängig von der
Wertschätzung, die man der indischen Mathematik an sich oder in
ihrem Verhältnis zur griechischen Wissenschaft entgegenbringt.
Wenn sich also G. R. Kaye in seiner neuesten Schrift2 zu der An-
sicht von Rodet bekennt, wonach die älteste arabische Algebra keine
Spur von indischem Einfluß zeige und so gut wie voll-
ständig griechisch sei, so dürfte diese Erneuerung älterer
Ansichten durch die vorliegende Arbeit widerlegt sein. Wenn auch
zugestanden werden kann, daß man im mittelalterlichen Europa
keine klaren Vorstellungen über Indien hatte und der Titel ,,de
1 Ein Hinweis hierauf ist der Beiname al-Magüsi, den ihm al-Tabarl
gibt. Vgl. Nallino, a. a. 0., S. 7. In dem Kapitel „Vita ed opere d’al-Huwä-
rizmt“ sind die spärlichen Nachrichten, die wir über unsern Autor besitzen,
sorgfältig gesammelt.
2 G. Pv. Kaye, Indian Mathematics, Calcutta und Simla 1915, S. 41. Herr
Wieeeitner erhielt die Schrift im Juli 1917 durch Herrn Eneström und stellte
sie mir in freundlicher Weise zur Verfügung. Die Aufsätze Kayes in Journ.
& Proc. As. Soc. of Bengal 1907 und 1911 sind mir erst nach Abschluß der
Korrektur zugänglich geworden; ich muß mir eine eingehendere Würdigung
seiner Ergebnisse für eine spätere Gelegenheit Vorbehalten.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1917. 2. Abh: 8
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So gewinnt das Bild, das wir von Muhammad b. Müs äs wis-
senschaftlichem Lebenswerk erhalten, mehr und mehr an Inhalt. Wir
sehen unsern Autor inmitten einer hochstrebenden, von allen Seiten
wissenschaftliche Anregung suchenden und empfangenden Gelehrten-
welt, als Mitglied einer Akademie, die in der von Härün al Rasid
begründeten, von Alma’mün freigebig geförderten Bibliothek zu
Bagdad ihren geistigen Mittelpunkt hatte. In erster Linie Astronom
und Astrolog, stützte sich der einem altpersischen Geschlecht1 ent-
stammende Gelehrte zunächst wohl auf persische und indische
Überlieferung. Indische Werke über die mathematischen Hilfswissen-
schaften und persönlicher Verkehr mit indischen Astronomen mögen
ihm die Anregung zur Abfassung der beiden Schriften über die
indische Rechenkunst und über die wichtigsten Kapitel des ange-
wandten Rechnens gegeben haben. Griechische Vorlagen kommen,
falls überhaupt vorhanden, für die Algebra erst in zweiter Linie;
eine originale Leistung scheint in dem Kapitel über die Erbteilungs-
aufgaben vorzuliegen.
Dieses aus der Untersuchung der Algebra und der übrigen
Schriften Muhammad b. Müs äs gewonnene Ergebnis steht durch-
aus im Einklang mit der Tatsache, daß sich die griechischen Quellen
den Arabern erst im Laufe des 9. und 10. Jahrhunderts durch um-
fassende Übersetzertätigkeit erschlossen. Es ist unabhängig von der
Wertschätzung, die man der indischen Mathematik an sich oder in
ihrem Verhältnis zur griechischen Wissenschaft entgegenbringt.
Wenn sich also G. R. Kaye in seiner neuesten Schrift2 zu der An-
sicht von Rodet bekennt, wonach die älteste arabische Algebra keine
Spur von indischem Einfluß zeige und so gut wie voll-
ständig griechisch sei, so dürfte diese Erneuerung älterer
Ansichten durch die vorliegende Arbeit widerlegt sein. Wenn auch
zugestanden werden kann, daß man im mittelalterlichen Europa
keine klaren Vorstellungen über Indien hatte und der Titel ,,de
1 Ein Hinweis hierauf ist der Beiname al-Magüsi, den ihm al-Tabarl
gibt. Vgl. Nallino, a. a. 0., S. 7. In dem Kapitel „Vita ed opere d’al-Huwä-
rizmt“ sind die spärlichen Nachrichten, die wir über unsern Autor besitzen,
sorgfältig gesammelt.
2 G. Pv. Kaye, Indian Mathematics, Calcutta und Simla 1915, S. 41. Herr
Wieeeitner erhielt die Schrift im Juli 1917 durch Herrn Eneström und stellte
sie mir in freundlicher Weise zur Verfügung. Die Aufsätze Kayes in Journ.
& Proc. As. Soc. of Bengal 1907 und 1911 sind mir erst nach Abschluß der
Korrektur zugänglich geworden; ich muß mir eine eingehendere Würdigung
seiner Ergebnisse für eine spätere Gelegenheit Vorbehalten.
Sitzungsberichte der Heidelb. Akademie, phil.-hist. Kl. 1917. 2. Abh: 8