Das älteste Systemprogramm des deutschen Idealismus.
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reichendere Rolle zuweist als die, ein Volk zu einigen, der vielmehr
hier „das letzte größte Werk der Menschheit“ sieht. Selbst wenn,
was nicht sicher festzustellen, nach der Handschrift sogar unwahr-
scheinlich ist, die betreffende Partie der Hegelschen Arbeit jünger
ist als die Schellingabschrift, so läge also schwerlich eine Ab-
hängigkeit vor, und es bliebe andererseits, im Falle daß Hegel
noch ohne Kenntnis von Schellings Gedanken gewesen wäre,
Schelling die beanspruchte absolute Priorität des Gedankens der
notwendigen „neuen Mythologie“ gewahrt. — Auch die un-
bedingte Verneinung des Staates scheint nicht unmittelbar auf
Hegel hinübergewirkt zu haben, so bedeutungsvoll es übrigens
doch für die Entwicklung seiner Staatsidee in den nächsten Jahren
gewesen sein muß, ein solch schlechthinniges „wir müssen über
den Staat hinaus“ von dem Freunde, dessen „grossem Gange“
er mit Bewunderung und Freude zusah, aufgestellt zu wissen. •—
Im ganzen aber ist bezeichnend gerade, wie wenig Hegel doch über-
haupt in der Folgezeit sich unter diesem Einfluß zeigt. Eigentlich
in der ganzen Zeit seines Frankfurter Aufenthaltes, soweit sie uns
aus dem Nachlaß übersehbar ist, geschieht die Entwicklung zum
systematischen Philosophen, als der er nach Jena kommt, so als
ob überhaupt kein Schelling da wäre und als wäre der Gedanke
eines Gesamtsystems der Welt, eines „Gegenstückes zu Spinozas
Ethik“, Hegel nie zu Ohren gekommen. Langsam, zähe, im Kampf
mit rein historischen Problemen, bildet er sich die metaphysischen
Grundbegriffe, und nur zufällig fast, nur als Splitter, die bei der
Arbeit beiseite fallen, entsteht ihm hier und da der Anfang einer
der Gedankenreihen, die ihn nachher zur philosophischen Er-
oberung der wirklichen Welt befähigt haben. Dabei scheint sein
Bewußtsein ganz befangen in der historischen Arbeit, und er wird
zum Philosophen, wie wenn er selber gar nicht wüßte, was mit
ihm geschieht. Am 2. X. 1800 endlich kann er nach langer, viel-
leicht vierjähriger Korrespondenzpause rückblickend dem Freunde
schreiben, daß sich auch ihm nunmehr „das Ideal des Jünglings-
alters ... in ein System . . . verwandelt“ habe. Dies „Ideal des
Jünglingsalters“ — es ist kein Zweifel, daß Hegel damals noch das
meint, was Schellings erste Schriften schlechtweg „die gute Sache“
nannten, zu deren Durchfechtung er auf die alten Tübinger Freunde
rechnete; die Vorbereitung der „neuen Religion“, zu der die neue
Philosophie die Ideen geben sollte. Hier ist der Punkt, wo des
Freundes Programm von 1796 Hegel die Gewähr der unbedingten
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reichendere Rolle zuweist als die, ein Volk zu einigen, der vielmehr
hier „das letzte größte Werk der Menschheit“ sieht. Selbst wenn,
was nicht sicher festzustellen, nach der Handschrift sogar unwahr-
scheinlich ist, die betreffende Partie der Hegelschen Arbeit jünger
ist als die Schellingabschrift, so läge also schwerlich eine Ab-
hängigkeit vor, und es bliebe andererseits, im Falle daß Hegel
noch ohne Kenntnis von Schellings Gedanken gewesen wäre,
Schelling die beanspruchte absolute Priorität des Gedankens der
notwendigen „neuen Mythologie“ gewahrt. — Auch die un-
bedingte Verneinung des Staates scheint nicht unmittelbar auf
Hegel hinübergewirkt zu haben, so bedeutungsvoll es übrigens
doch für die Entwicklung seiner Staatsidee in den nächsten Jahren
gewesen sein muß, ein solch schlechthinniges „wir müssen über
den Staat hinaus“ von dem Freunde, dessen „grossem Gange“
er mit Bewunderung und Freude zusah, aufgestellt zu wissen. •—
Im ganzen aber ist bezeichnend gerade, wie wenig Hegel doch über-
haupt in der Folgezeit sich unter diesem Einfluß zeigt. Eigentlich
in der ganzen Zeit seines Frankfurter Aufenthaltes, soweit sie uns
aus dem Nachlaß übersehbar ist, geschieht die Entwicklung zum
systematischen Philosophen, als der er nach Jena kommt, so als
ob überhaupt kein Schelling da wäre und als wäre der Gedanke
eines Gesamtsystems der Welt, eines „Gegenstückes zu Spinozas
Ethik“, Hegel nie zu Ohren gekommen. Langsam, zähe, im Kampf
mit rein historischen Problemen, bildet er sich die metaphysischen
Grundbegriffe, und nur zufällig fast, nur als Splitter, die bei der
Arbeit beiseite fallen, entsteht ihm hier und da der Anfang einer
der Gedankenreihen, die ihn nachher zur philosophischen Er-
oberung der wirklichen Welt befähigt haben. Dabei scheint sein
Bewußtsein ganz befangen in der historischen Arbeit, und er wird
zum Philosophen, wie wenn er selber gar nicht wüßte, was mit
ihm geschieht. Am 2. X. 1800 endlich kann er nach langer, viel-
leicht vierjähriger Korrespondenzpause rückblickend dem Freunde
schreiben, daß sich auch ihm nunmehr „das Ideal des Jünglings-
alters ... in ein System . . . verwandelt“ habe. Dies „Ideal des
Jünglingsalters“ — es ist kein Zweifel, daß Hegel damals noch das
meint, was Schellings erste Schriften schlechtweg „die gute Sache“
nannten, zu deren Durchfechtung er auf die alten Tübinger Freunde
rechnete; die Vorbereitung der „neuen Religion“, zu der die neue
Philosophie die Ideen geben sollte. Hier ist der Punkt, wo des
Freundes Programm von 1796 Hegel die Gewähr der unbedingten