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HANS DRIESCH:
wäre zu wissen möglich, in welchen Wollungen des Einzelnen,
falls es ein freies Uberpersönliche gibt, dessen Freiheit sich kund
gibth -
Es seien nun noch zwei kurze Sonderbetrachtungen ange-
stellt über Probleme, welche mit der Freiheitsfrage Zusammen-
hängen.
i.
Darf von geschichtlichen Ereignissen, z. B. einem Kriege,
gesagt werden, daß sie ,,auch dann eingetreten wären", wenn
gewisse einzelpersönliche Handlungen, z. B. die Handlungen ganz
bestimmter Staatsmänner, unterblieben wären? Es ist ja bekannt-
lich üblich so zu reden.
Zunächst ist klar, daß für den strengen Deterministen^ die ganze
Frage keinen Sinn hat: für ihn war nur möglich, was wirklich geworden ist.
Er streicht oder müßte doch streichen den Begriff der nichtverwirklichten
Möglichkeit. Es ist für ihn sinnlos überhaupt zu fragen, was geworden wäre,
wenn dieser Staatsmann anders gehandelt ,,hätte"; er ,,hat" eben gehandelt,
wie er gehandelt hat, und dabei bleibt es. Die moralische Beurteilung, daß
es ,,hätte anders sein sollen", läßt sich zwar auch für ihn nicht beseitigen;
aber sie ist für den Deterministen ein Schein. Sie zeigt ihm allenfalls an,
daß jede Person eine bestimmte Rolle im ganzen spielt, aber sie zeigt ihm nie
echte Freiheit an.
Der Indeterminist, welcher den Geist ,,sich machen" läßt, darf
sagen, daß es anders gekommen wäre bei anderem Handeln dieses bestimm-
ten Staatsmannes; nicht freilich in dem Sinne, daß der Staatsmann eine
echte isolierte Monade sei, wohl aber in dem Sinne, daß nun eben in ihm
das Überpersönliche sich frei betätigt^.
Aber auch der Indeterminist darf (ebenso wie der Determinist) Eines
nicht sagen, was gerade sehr gern gesagt wird, nämlich dieses: ,,Auch wenn
dieser Staatsmann anders gehandelt hätte, so wäre es doch so gekommen,
wie es gekommen ist". Er weiß das zum mindesten nicht, kann es gar nicht
wissen.
Gewiß gibt es hier wie überall ^unwesentliche" Geschehnisse. Der
Indeterminist darf, wie der Determinist, von ihnen reden. Auch ,,freie", wenn
anders man im Rahmen des Alltäglichen sie zuläßt, mögen dazugehören,
z. B. ob unser Staatsmann an einem bestimmten Morgen Thee oder Kaffee
getrunken hat. Aber von einem ganz deutlich an dem historischen Effekt
i IE. A., S. 120 f.
^ Determinismus bedeutet uns natürlich nicht ein mechanisch-summen-
haftes Bestimmtsein, sondern ein Bestimmtsein der psychophysischen Äuße-
rungen des Geistes durch den als vollendet daseiend gedachten nicht-
materiellen Geist.
s Hierzu vgl. IE. A., Seite 200, wo untersucht wird, ob es im Rahmen
des Überpersönlichen einen regulatorischen Einzelpersonenersatz gebe, falls
eine Person (durch ,,Zufall" im Sinne des Dualismus) einen Unfall und da-
durch vorzeitigen Tod erleidet.
HANS DRIESCH:
wäre zu wissen möglich, in welchen Wollungen des Einzelnen,
falls es ein freies Uberpersönliche gibt, dessen Freiheit sich kund
gibth -
Es seien nun noch zwei kurze Sonderbetrachtungen ange-
stellt über Probleme, welche mit der Freiheitsfrage Zusammen-
hängen.
i.
Darf von geschichtlichen Ereignissen, z. B. einem Kriege,
gesagt werden, daß sie ,,auch dann eingetreten wären", wenn
gewisse einzelpersönliche Handlungen, z. B. die Handlungen ganz
bestimmter Staatsmänner, unterblieben wären? Es ist ja bekannt-
lich üblich so zu reden.
Zunächst ist klar, daß für den strengen Deterministen^ die ganze
Frage keinen Sinn hat: für ihn war nur möglich, was wirklich geworden ist.
Er streicht oder müßte doch streichen den Begriff der nichtverwirklichten
Möglichkeit. Es ist für ihn sinnlos überhaupt zu fragen, was geworden wäre,
wenn dieser Staatsmann anders gehandelt ,,hätte"; er ,,hat" eben gehandelt,
wie er gehandelt hat, und dabei bleibt es. Die moralische Beurteilung, daß
es ,,hätte anders sein sollen", läßt sich zwar auch für ihn nicht beseitigen;
aber sie ist für den Deterministen ein Schein. Sie zeigt ihm allenfalls an,
daß jede Person eine bestimmte Rolle im ganzen spielt, aber sie zeigt ihm nie
echte Freiheit an.
Der Indeterminist, welcher den Geist ,,sich machen" läßt, darf
sagen, daß es anders gekommen wäre bei anderem Handeln dieses bestimm-
ten Staatsmannes; nicht freilich in dem Sinne, daß der Staatsmann eine
echte isolierte Monade sei, wohl aber in dem Sinne, daß nun eben in ihm
das Überpersönliche sich frei betätigt^.
Aber auch der Indeterminist darf (ebenso wie der Determinist) Eines
nicht sagen, was gerade sehr gern gesagt wird, nämlich dieses: ,,Auch wenn
dieser Staatsmann anders gehandelt hätte, so wäre es doch so gekommen,
wie es gekommen ist". Er weiß das zum mindesten nicht, kann es gar nicht
wissen.
Gewiß gibt es hier wie überall ^unwesentliche" Geschehnisse. Der
Indeterminist darf, wie der Determinist, von ihnen reden. Auch ,,freie", wenn
anders man im Rahmen des Alltäglichen sie zuläßt, mögen dazugehören,
z. B. ob unser Staatsmann an einem bestimmten Morgen Thee oder Kaffee
getrunken hat. Aber von einem ganz deutlich an dem historischen Effekt
i IE. A., S. 120 f.
^ Determinismus bedeutet uns natürlich nicht ein mechanisch-summen-
haftes Bestimmtsein, sondern ein Bestimmtsein der psychophysischen Äuße-
rungen des Geistes durch den als vollendet daseiend gedachten nicht-
materiellen Geist.
s Hierzu vgl. IE. A., Seite 200, wo untersucht wird, ob es im Rahmen
des Überpersönlichen einen regulatorischen Einzelpersonenersatz gebe, falls
eine Person (durch ,,Zufall" im Sinne des Dualismus) einen Unfall und da-
durch vorzeitigen Tod erleidet.