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Driesch, Hans [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 3. Abhandlung): Logische Studien über Entwicklung, 1 — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37665#0067
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Logische Studien über Entwicklung.

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sehen gar nicht geben, da er nicht wissen kann, was er über die Natur nicht
weiß, also übersehen haben könnte. Jedes Experiment wird also in vielen
Fällen gemacht; fielen sie alle gleich oder, bei quantitativen Abänderungen,
den, Änderungen quantitativ entsprechend aus, so macht das Denken den
Übergang zu allen Fällen, und das Gesetz ist fertig. Die vielen Fälle waren
beliebig dem Material, dem Ort und der Zeit nach. Eben hier setzt unser
Problem ein: Was heißt dieses ,,beliebig"?
Es ist nun kein Zweifel, daß ein bewußter Begriff von Freiheit in
diesem ,.beliebig" nicht darinsteckt: ,,was mir der Zufall in die Hände
spielt" soll es heißen, nichts weiter. Aber unausgesprochen ist hier trotz allem
gesagt: ich ,,hätte" auch an anderem Materiale arbeiten ,.können", wenn ich
,.gewollt" hätte. Heißt das nun wirklich, daß ich mich ,,als frei ansehe"
beim Experiment?
Unbedingt notwendig ist es, so scheint mir, nicht, das anzunehmen.
Es kann jedenfalls das ,,ich hätte anders wollen können" auch als bloßer
Ausdruck des Sachverhaltes gefaßt werden, daß, ebenso wie meine Beziehung
zu dem mir gerade vorliegenden Material, so auch meine ,,Wollen" zu gerade
dieser Zeit ,,zufällig" gewesen sei. Und ,.zufällig" heißt dann nur, daß mein
Wollen gerade in diesem- Augenblicke irgendeines meiner überhaupt
möglichen Wollen gewesen sei, ebenso wie das mir überhaupt vorliegende
Material irgendeines war.
Hier betreten wir den Boden, auf dem der Begriff der Wahrschein-
lichkeit erwächst: Ich muß meine verschiedenen möglichen Wollen als
gleich wahrscheinlich ansehen, und ich muß auch die verschiedenen Fälle
des ,,mir Vorliegens von Material" als gleich wahrscheinlich ansehen, auf
daß ich vom ,,diese vielen Fälle" zum ,,alle Fälle" weitergehen kann.
Das aber ist — ein Glaube.'
Es ist aber ein sehr seltsamer Glaube, denn er nimmt in gewissem
Sinne den Begriff Gesetz vorweg, den er für gewisse Besonderheiten
erst aufstellen will. Vorweg genommen wird nämlich das ,,Gesetz",
daß die Verteilung meiner verschiedenen Wollen und daß die Verteilung
der Materialien gleichförmig sei. Neu geschaffen wird das ,,Gesetz" nur
insofern, als nun nach erfolgtem Experiment auch gewisse neue Verknüp-
fungszüge in dem behandelten Material als gleichförmig auf ,,alles" Material
verteilt gelten.
Der Umstand aber, daß ich mich bisher in meinem Glauben nicht
täuschte, ist der einzige ,,Grund" für diesen Glauben. —
Durch diese Erwägungen ist die Bedeutung des Wortes ,.beliebig"
vergegenständlicht worden: nicht mehr handelt der Experimentator, handle
dcA, beliebig, sondern mein Wollen und das Material ist in seiner Verteilung
beliebig, d. h. zufällig, bei vorausgesetzter Soseinsgleichheit.
Za/dMig aber heißt: nicht dem Begriff dieses eine geordnete Ganze ein-
fügbarL

^ kF. L., Seite 154.
 
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