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Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

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https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0031
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Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.

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macht des mit Feuer einherkommenden Muspell gibt es selbst für
den Stärksten keine Rettung; wie Freyr nicht weiß, wie er kämpfen
soll, so weiß die Seele nicht, womit sie Buße leisten soll (V. 61 f.).
Ich kann dies alles nicht für Zufall halten. Die Erklärung aber
liegt nahe: die heidnischen Verse, die dem Eliasdichter den Be-
griff Muspilli geliefert haben, behandelten den unglücklichen Kampf
eines Gottes (Fro) gegen den mit Feuer anreitenden Muspell-
dämon. Der Dichter assoziierte diese Dichtung mit der ihr ähnlichen
und wahrscheinlich wurzelverwandten kirchlichen Überlieferung
von Elias’ Fall durch den Antichrist. Das regte ihn an, die letztere
in Stabreimen darzustellen, und dabei konnten dann phraseologische
Anleihen bei der Frodichtung kaum ausbleiben. Muspell aber
wurde, da seine Rolle als Gegner des Gottes auf den Antichrist
überging, im Anschluß an das feuerzündende Blut und der Predigt-
tendenz gemäß zum Heimsucher der Menschen.
Man möge nicht einwenden, die Annahme einer Wurzel-
verwandtschaft mache die der unmittelbareren Beeinflussung
überflüssig, oder umgekehrt. Die Ähnlichkeit der beiden Auf-
tritte ist zu gering, als daß enger Zusammenhang statthaben
könnte. Wollen wir überhaupt Zusammenhang gelten lassen —
was wir aber m. E. müssen —, so kann es sich nur um entfernte
Verwandtschaft handeln, vermittelt durch den Urtypus des Motivs
'Ragnarökkampf am Himmel zwischen Schützer und Vernichter’
(vgl. unten S. 50). Diese Annahme erklärt aber nicht die Überein-
stimmung in Worten und Phrasen, in deren Mittelpunkt das Wort
Muspilli mit seiner charakteristischen Bedeutung steht, und die
nur durch die Wanderung stabreimender germanischer Verse
zustande gekommen sein kann. Daß urverwandte Motive einander
anziehen, ist eine bekannte sagengeschichtliche Erfahrung.
Das Eliasgedicht steht noch in einem dritten literatur-
geschichtlichen Zusammenhang: es ist ein Glied in der Kette der
angelsächsisch-deutschen Stabreimdichtungen vom Jüngsten Tag.
Dies erhellt schon aus seinem teilweisen Parallelismus mit dem
Stück, in das es eingesetzt ist (V. 31—36. 63ff.). Es geht, ferner
hervor aus der Verwandtschaft der Schilderung der Katastrophe
Vers 51 ff. mit den Muspelli-Stellen des Heliand und Versen des
angelsächsischen Crist III1. Diese Beziehungen stellen uns vor
schwierige Fragen.
1 Über 'Muspilli5 und Crist vgl. v. Unwerth, Beitr. 40, 349ff.
 
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