Metadaten

Neckel, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1918, 7. Abhandlung): Studien zu den germanischen Dichtungen vom Weltuntergang — Heidelberg, 1918

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37669#0043
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Studien zu den germ. Dichtungen vom Weltuntergang.

43

Als Reiterheer können jene nicht nordischen, schwerlich über-
haupt rein germanischen Ursprungs sein. Man könnte daran
denken, in ihnen eine mythische Spiegelung der Hunnen zu
sehen. Dafür könnte der 'Dunkelwald’ zu sprechen scheinen,
über den sie geritten kommen, denn nach dem alten Liede von
der Hunnenschlacht, das die Hervararsaga teils im Wortlaut
mitteilt, teils nacherzählt, reitet das ins Gotenland einfallende
Hunnenheer durch diesen selben Wald, der dort als Grenzwald
zwischen Goten und Hunnen erscheint1; auch werden dort die
Hu nnen als Brandstifter geschildert2, und es folgt eine außer-
ordentlich blutige Schlacht zwischen ihnen und den Goten. Diese
Berührungen können kaum Zufall sein, am wenigsten das Vor-
kommen des Namens Myrkvidr auf beiden Seiten. Wir werden
anzunehmen haben, daß dieser Name aus dem Liede von der
Hunnenschlacht in die Muspelldichtung übergegangen ist, weil
die Hunnenhorden an die Muspellssöhne erinnerten, weil letztere
von Süden kamen3 und weil zugleich das 'Dunkel’ des Waldes den
Feuerdämonen eine wirkungsvolle Folie gab (s. o. S. 27). Auf
diese Weise erklären wir das Auftauchen des deutschen Myrkvidr
in der Mythendichtung (Lokasenna) am einfachsten. Aber daß
die Abhängigkeit weiter ginge, so daß die hunnischen Reiter das
Prototyp der Muspellsreiter wären, ist durchaus unglaubhaft.
Die Hunnen sind von den germanischen Dichtern ganz realistisch
aufgefaßt worden, und nach allem, was wir von den Germanen
der Völkerwanderung wissen, können wir nichts anderes erwarten;
für die fragliche Mythisierung fehlten jedenfalls die geistigen
Voraussetzungen. Anderseits gibt es ähnliche mythische Phan-
tasien schon in älterer Zeit und in einer Kulturregion, aus der
den Germanen mancherlei Anregung zugekommen ist.
Die Posaunenvision der Offenbarung Johannis enthält
eine Reihe von semitisch, d. h. als Strafgericht, eingekleideten
Ragnarökmotiven, von denen uns besonders zwei interessieren,
die Heuschrecken und das Reiterheer (Kap. 9, 3ff. 14ff.)- 'Die
Heuschrecken sind gleich den Rossen, die zum Kriege bereit sind;
und auf ihrem Haupt- wie Kronen dem Golde gleich, und ihr Ant-
litz gleich der Menschen Antlitz. Und hatten Haar wie Weiber-
1 Bugge, Neurone Skrifter S. 276.
2 Hunnenschlachtlied 16, 3 (Eddica minora S. 7).
3 Auch die Hunnen, die durch den Myrkvidr Vordringen, kommen von
Süden, vgl. Hunn. 16, 1. Akv. 2, 6 (3, 4).
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften