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R. Reitzenstein:
ehisc-lien Denken anzu passen versucht Vergleicht man den späteren
Sufismus, so möchte man am liebsten hierin eine Eigenheit des
iranischen Geistes, seinen Hauptbeitrag zu der Entwicklung des
allgemeinen religiösen Empfindens erblicken.
Das kann vorschnell erscheinen, denn bisher führten unsere
Quellen ja nur bis nach Mesopotamien und zu Systemen, die man
früher als künstliche Schöpfungen einzelner Männer zu betrachten
gewohnt war. Daß es sich um die Ausgestaltung einer alten Volks-
religion oder wenigstens Priesterlehre handle, konnte man mehr
ahnen als nachweisen. So war es für mich von entscheidender
Bedeutung, als Prof. Andreas mir aus dem manichäischen Turfan-
fragment Berlin M. 7 ein neues Bruchstück des Zarathustra vor-
übersetzte, das der Verfasser als älteste Überlieferung seines Volkes
anführt1. In vielem noch rätselhaft, setzt es doch jenes Drama
in allen wesentlichen Zügen schon voraus: die in die Materie ver-
senkte Seele — bei Zarathustra und in dem von ihm beeinflußten
Barueh-Buch Justins (Hippolyt V 26, 17 p. 129, 14 Wendland) der
Geist — liegt in todesartigem Schlummer, bis der göttliche Bote sie
erweckt und wiederbelebt. Die Angabe eines manichäischen Scho-
liasten, daß der dabei gesprochene Spruch dem ältesten Totenkult
angehöre, bestätigt sich durch die mandäischen Totentexte im
linken Genzä und den sonstigen Liturgiensammlungen, z. T. aber
auch durch eine große manichäische gottesdienstliche Dichtung,
auf deren Reste ich bei weiterem Suchen stieß. Der Spruch selbst
kehrt in leichtester Umgestaltung, aber sogar in derselben morali-
schen Umdeutung (auf die Erweckung vom geistigen Tode) in
dem berühmten anonymen Zitat des nachpaulinischen Epheser-
briefes 5, 14 wieder: „Wache auf, der du schläfst, und erstehe
von den Toten, so wird dich Christus erleuchten" und hat ein
weiteres Gegenbild in einer ursprünglich aramäischen alchemisti-
schen Schrift aus heidnischer Zeit, die ich in den Nachrichten der
Gesellschaft der Wissenschaften, 1919, S. 1 ff. soeben herausgegeben
habe.
Indem ich versuchte, diese Vorstellung weiter zu verfolgen,
mußte ich die mandäisclie und manichäische Seelenlehre und
Eschatologie eingehender untersuchen. Die Überzeugung, daß sie
im wesentlichen iranische Volksvorstellungen bietet — freilich in
der Umgestaltung und Färbung, die sie auf semitischem Boden not-
1 Den Text bietet die im Druck befindliche Neuauflage der 'Hellenisti-
schen Mysterienreligionerb .
R. Reitzenstein:
ehisc-lien Denken anzu passen versucht Vergleicht man den späteren
Sufismus, so möchte man am liebsten hierin eine Eigenheit des
iranischen Geistes, seinen Hauptbeitrag zu der Entwicklung des
allgemeinen religiösen Empfindens erblicken.
Das kann vorschnell erscheinen, denn bisher führten unsere
Quellen ja nur bis nach Mesopotamien und zu Systemen, die man
früher als künstliche Schöpfungen einzelner Männer zu betrachten
gewohnt war. Daß es sich um die Ausgestaltung einer alten Volks-
religion oder wenigstens Priesterlehre handle, konnte man mehr
ahnen als nachweisen. So war es für mich von entscheidender
Bedeutung, als Prof. Andreas mir aus dem manichäischen Turfan-
fragment Berlin M. 7 ein neues Bruchstück des Zarathustra vor-
übersetzte, das der Verfasser als älteste Überlieferung seines Volkes
anführt1. In vielem noch rätselhaft, setzt es doch jenes Drama
in allen wesentlichen Zügen schon voraus: die in die Materie ver-
senkte Seele — bei Zarathustra und in dem von ihm beeinflußten
Barueh-Buch Justins (Hippolyt V 26, 17 p. 129, 14 Wendland) der
Geist — liegt in todesartigem Schlummer, bis der göttliche Bote sie
erweckt und wiederbelebt. Die Angabe eines manichäischen Scho-
liasten, daß der dabei gesprochene Spruch dem ältesten Totenkult
angehöre, bestätigt sich durch die mandäischen Totentexte im
linken Genzä und den sonstigen Liturgiensammlungen, z. T. aber
auch durch eine große manichäische gottesdienstliche Dichtung,
auf deren Reste ich bei weiterem Suchen stieß. Der Spruch selbst
kehrt in leichtester Umgestaltung, aber sogar in derselben morali-
schen Umdeutung (auf die Erweckung vom geistigen Tode) in
dem berühmten anonymen Zitat des nachpaulinischen Epheser-
briefes 5, 14 wieder: „Wache auf, der du schläfst, und erstehe
von den Toten, so wird dich Christus erleuchten" und hat ein
weiteres Gegenbild in einer ursprünglich aramäischen alchemisti-
schen Schrift aus heidnischer Zeit, die ich in den Nachrichten der
Gesellschaft der Wissenschaften, 1919, S. 1 ff. soeben herausgegeben
habe.
Indem ich versuchte, diese Vorstellung weiter zu verfolgen,
mußte ich die mandäisclie und manichäische Seelenlehre und
Eschatologie eingehender untersuchen. Die Überzeugung, daß sie
im wesentlichen iranische Volksvorstellungen bietet — freilich in
der Umgestaltung und Färbung, die sie auf semitischem Boden not-
1 Den Text bietet die im Druck befindliche Neuauflage der 'Hellenisti-
schen Mysterienreligionerb .