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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0027
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft.

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aller Stofflichkeit gleich sein müsse. Darum sind ihm die
„Elemente“ nichts ursprünglich Vorhandenes und Anfangsloses.
Freilich im gestalteten Kosmos, in der Welt unserer Erfahrung,
finden wir als Beobachter gewisse Hauptunterschiede des stofflichen
Bestandes: wir könnten sie zur Not — freilich nicht ganz zu-
treffend — mit dem Namen Aggregatzustände bezeichnen, durch
den ausgesagt wird, daß sie nur die veränderlichen in einander
überführbaren Formen eines in seinem Kern unveränderlich be-
harrenden Gehaltes seien. Da aber für Platon als Grundmerkmal
alles Stofflichen die Räumlichkeit gilt, so folgert er hieraus,
daß jene Unterschiede in räumlichen Bestimmtheiten gegründet
seien. Seine Vorstellung von Gott als dem die Welt gestaltenden
Geist liefert ihm ferner die Voraussetzung, diese räumlichen
Bestimmtheiten müssen von der Art sein, daß nachforschende Ver-
nunft sie klar zu erkennen und mit ihrer Anwendung das Durch-
einander des sinnlich sich Darbietenden zu entwirren und über-
sichtlich zu ordnen vermöge. Darum sucht er das Wesen der
empirisch beobachteten Unterschiede in den von der Stereometrie
beschriebenen regulären Körpern. Deren sind es fünf1. Der
„Aggregatzustände“ aber meint er vier beobachtet zu haben.
Er hat sich gewiß auch die Frage vorgelegt, ob nicht ein fünfter,
den der Blick leicht übersehe, durch sorgfältige Betrachtung ent-
deckt werden könne. Doch hat er, mitveranlaßt durch die mathe-
matische Spekulation, daß der Zusammenhalt der Elemente sich
durch eine Progression werde ausdrücken lassen, die Frage ver-
neint2. So muß er denn vier der regulären Körper für die Er-
klärung des Beobachteten in Anspruch nehmen. Drei derselben
erweisen sich durch die Gleichheit ihrer Begrenzungsflächen als

1 Diese Erkenntnis ist, s. unten S. 96, kurz vorher erst in der Aka-
demie gewonnen worden.
2 In anderer Weise hat Aristoteles diese Frage beantwortet, indem er
eine fünfte Grundbestimmtheit des Körperlichen, den „Äther“, unterschied
und zu seiner stereometrischen Kennzeichnung den von Platon beiseite ge-
lassenen fünften regulären Körper, das Dodekaeder, benützte. Der Umstand,
daß auch dessen Begrenzungsflächen sich nicht durch Teilungslinien in die
Dreiecke zerlegen lassen, aus denen die Flächen der anderen sich zusammen-
setzen, trug gewiß zur Ermutigung bei. Denn der Glaube an die außerordent-
lichen Wirkungskräfte, die jener quinta essentia eignen sollten, hätte sich
schwer vertragen mit dem Gedanken, daß sie sich in die Existenzform eines
anderen Elements überführen lasse.
 
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