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Ritter, Constantin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 19. Abhandlung): Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37696#0041
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Platons Stellung zu den Aufgaben der Naturwissenschaft. 41
Wie beim Begriff der Räumlichkeit hervorgehoben wird1, daß
wir irre gehen, wenn wir sie den ewig unveränderlichen Wesen-
heiten zuschreiben, so auch beim Begriff der Zeitlichkeit. Da es
aber nur von dem ewig gleich Beharrenden sicheres Wissen, von
anderem höchstens zutreffende Mutmaßung und Meinung geben
soll, so kann die Richtigkeit der Raum- und Zeitvorstellung selber
und die Vorstellung des Begriffs der Bewegung oder des Werdens,
die Raum- und Zeitbeziehungen in sich schließt, in Zweifel gezogen
werden. Und doch ist es nicht Platons Absicht, diesen Vorstellungen
und Begriffen den Boden zu entziehen, so wie die Eleaten das ver-
sucht haben. Er sieht, daß damit alle Naturwissenschaft unmög-
lich gemacht würde. Nur die Irrationalität, die in jenen Begriffen
hegt, will er deutlich machen, aber die Tatsächlichkeit ihres In-
halts will er so wenig leugnen, daß er im Gegenteil durch ihre
starke Betonung den Eleatismus zurückschlägt. Und so gibt
er gerade im Timaios grundlegende Beiträge zu einer Theorie
der Wahrscheinlichkeit, deren oberste Stufen ihm für die
Naturerklärung als das höchste erreichbare Ziel gelten. Er
tut das, indem er den Begriff des Abbildes, der schon
früher von ihm benutzt, worden war, um das Verhältnis
der sinnlichen veränderlichen Dinge zu den unsinnlichen, unver-
änderlichen Wesenheiten, den an sich seienden „Ideen“ deut-
lich zu machen, auf die sinnliche Welt als Ganzes, auf den
Kosmos, anwendet. Und es gehört das zu den folgereichsten
Gedanken des Timaios. Notwendig muß ja das Abbild in einem
sinnlichen Stoff ausgeprägt sein. Eben dieses Ausgeprägtsein im
Sinnlichen, die Raum- und Zeitbestimmtheit, die damit verbunden
ist, und die besondere Natur des der Ausprägung dienenden
Stoffes unterscheidet es dann von seinem Urbild oder Original.
Für seine Beschreibung aber ist das Wichtigste die Angabe des
begrifflichen Gehalts, in dem es mit dem Original übereinstimmt.
Seine Beurteilung erfolgt unter dem Gesichtspunkt des Zweckes,
daß ein Bild sein Original wiedergeben solle. Je näher es diesem
kommt, desto höher wird das Abbild gewertet, desto besser ist
es als Abbild gelungen. Und doch ist eine bis zur völligen Gleich-
heit gehende Widergabe gar nicht möglich: sonst wäre das Bild
kein Abbild mehr, sondern selbst Original2. So erscheint der
Stoff, der seinen Bildcharakter bedingt, als ein Hemmnis oder

1 Tim. 52b.
2 Tim. 52 c.
 
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