Metadaten

Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0064
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
64

A. Warburg:

die natürlich ursach ist, das zu erfolgung und erlangung der weiß-
heit und der lere, besunder der schweren Kunst, ist not das das
gemüt gezogen werd von den äussern dingen zu dem innern zu
gleicher weiß als von dem umblauff des Zirkels hinzu zu dem
mittelpuncten, centrum genannt, und sich selbs dar zu fügen und
schicken.“ Sinnt sie auf ein Mittel gegen das Unheil, das der
Komet im Hintergründe über dem Wasser droht ?120 Oder spielt
schon die Sintflutangst hinein ?
Bei Dürer wird also der Saturndämon unschädlich gemacht
durch denkende Eigentätigkeit der angestrahlten Kreatur; das
Planetenkind versucht sich durch eigene kontemplierende Tätigkeit
dem mit der 'unedelst complex’121 drohenden Fluch des dämonischen
Gestirns zu entziehen. Der Zirkel des Genies, kein niedriges Grab-
scheit (siehe Abb. 4: die Saturnkinder), ist in der Hand der Melan-
cholie. Der magisch angerufene Jupiter kommt durch seine gütige
und besänftigende Wirkung auf den Saturn zu Hilfe. Die Er-
rettung des Menschen durch diesen Gegenschein des Jupiter ist
auf dem Bilde gewissermaßen schon erfolgt, der Akt des dämoni-
schen Zweikampfes, wie er bei Lichtenberger vor Augen steht, ist
vorüber und die magische Zahlentafel hängt an der Wand wie ein
Ex-Voto zum Dank für Dienste des gütigen, siegreichen Stern-
genius.
Demgegenüber ist Luther in seiner Ablehnung dieses mytho-
logischen Fatalismus ebenso ein Befreier wie er gegen die feind-
liche Nativitätsstellerei vorgeht, und die Anerkennung des An-
spruches auf die dämonische Übermenschlichkeit der Gestirne wird
von ihm als sündhafter heidnischer Götzendienst zurückgewiesen.
Luther und Dürer treffen also bis zu einem gewissen Punkte
in ihrem Kampfe gegen die Mythologik der großen Konjunktion
zusammen. Wir stehen mit ihnen schon im Streite um die innere
intellektuelle und religiöse Befreiung des modernen Menschen,
freilich erst am Anfang: denn wie Luther noch die kosmischen
Monstra fürchtet (und die antiken Landen dazu), so weiß sich auch
die ,,Melencolia“ noch nicht völlig frei von antiker Dämonenfurcht.
Ihr Haupt ziert nicht der Lorbeer, sondern das Teukrion, die
120 Ein sonst unbekannter Komet wird bei der Geburt Maximilians als
ausnahmsweise glückbringend erklärt. Vgl. Giehlow a. a. O. V. S. 60.
121 Nach der Bezeichnung im „regimen sanitatis“ Cod. Vind. 5486. \ gl.
Giehlow a. a. O. I. S. 33.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften