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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0011
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Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten. 11

enthielt, die Melanchthon tatsächlich verhinderte, wie er 1560
gestand, nach Dänemark zu reisen11. Es sind aber nicht allein die
wissenschaftlichen Voraussagen, sondern, wie Melanchthon ja aus-
drücklich hervorhebt, die Vaticinia, die unmittelbar inspirierten,
'unwissenschaftlichen5 Weissagungen, die ihn am meisten erregten.
Da ist der Mann von Schmalkalden und das Weib von
Kitzin gen. Von diesen hören wir schon sehr viel früher. Schon
Ende März hatte Melanchthon sowohl an Gordatus wie an
Baumgärtner über letztere geschrieben, sie weissage innerhalb
von sechs Monaten einen großen Krieg gegen die Evangelischen
mit Unterstützung Frankreichs12. Uber den Kaiser wußte sie
weniger Schlechtes als über den König Ferdinand. Auch das
furchtbare Gesicht des Bürgers von Schmalkalden erwähnt Me-
lanchthon schon am Al. April in einem Briefe an Camerarius13. So
steht der geistliche Führer des evangelischen Deutschlands gerade
in einem Augenblick, wo nur ein unerschütterlicher Wille zur
inneren Abkehr von den gewissenbedrückenden Mächten dieser
Zeitlichkeit die Lage retten konnte, wie ein heidnischer Zeichen-
deuter da, der durch Himmelszeichen und Menschenstimmen von
unbedingt wehrhafter Entschlußfreudigkeit abgelenkt wird. Wenig-
stens ließen ihm die Prophetenstimmen noch einige Siegeshoffnung
auf den Leo, den hessischen Löwen.
Melanchthon konnte freilich den inneren Widerspruch seines
kritisch-philologischen Tatsachensinnes dadurch beschwichtigen,
daß für ihn in der astrologischen Methode jene harmonisierende
Weltanschauung der Alten praktisch fortlebte, die eben die wesent-
liche Grundlage seines kosmologisch gerichteten Humanismus war14.
2. Gestirnbeobachtende Weissagung. — Luthers und Melanchthons
gegensätzliche Stellung zur antiken Astrologie.
Die italienische Kultur der Renaissance hatte im Süden und
Norden Typen der heidnisch-antiken Weissagung bewahrt und
wiederbelebt, deren Wesen in einer so lebenskräftigen Mischung
11 30. Juli 1557 an Joh. Matthesius (GR. IX, 189), dazu Brevis narratio
ed. Nikolaus Müller (in: Ph. Melancnthons letzte Lebenstage usw., Leipzig
1910), S. 2.
12 GR. II, 490 und 491.
13 CR. II, 495.
14 Vgl. z. B. CR. XI, 263, dazu Karl Hartfelder, Der Aberglaube
Ph. Melanchthons (Histor. Taschenbuch, 6. Folge, 8. Jahrg., 1889), S. 237f.
 
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