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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0012
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12

A. Warburg:

heterogener Elemente, von Rationalismus und Mythologik, von
rechnendem Mathematiker und prophezeiendem Augur bestand,
daß sich selbst die Hochburg des mit Rom um die innere Be-
freiung ringenden christlichen Deutschland, der Wittenberger
Kulturkreis, mit ihnen auseinandersetzen mußte. Selbst hier, wo
man christliches Heidentum zu Rom so leidenschaftlich bekämpfte,
fanden dennoch der babylonisch-hellenistische Sterndeuter wie der
römische Augur Einlaß und eigentümlich bedingte Zustimmung.
Luther und Melanchthon enthüllen hierbei den Grund dieser für
geradlinig denkende Geschichtsauffassung so paradoxen Anteil-
nahme an den fortlebenden mysteriösen Praktiken heidnischer Reli-
giosität, weil sie sich mit diesem zukunfterforschenden Aberglauben
auf ganz verschiedene Weise auseinanderzusetzen versuchten.
Luther beschränkte sich durchaus auf die Billigung des
mystisch-transzendentalen Kernes des naturwunderlichen kosmo-
logischen Ereignisses, das die Allmacht des christlichen Gottes
souverän und unberechenbar als vorbedeutende Mahnung aus-
sendet, während Melanchthon die antike Astrologie als intellek-
tuelle Schutzmaßnahme gegen das kosmisch bedingte irdische
Fatum handhabte und von seinem Sternglauben so erfüllt war,
daß er hier den sonst so gern vermiedenen Widerspruch seines
mächtigeren Freundes andauernd herausforderte; denn selbst als
ein italienischer Astrologe — Lucas Gauricus — persönlich
und sachlich bis in das eigenste Gebiet des Reformators vorstieß,
indem er willkürlich dessen Nativität durch erfundene Geburtstags-
daten „rektifizierte“, fand er hierbei Verständnis und Rückhalt
bei Melanchthon, Carion und anderen sternkundigen Wittenberger
Gelehrten, obwohl die zugrundeliegende astrologische Politik sich
ohne Zweifel gegen Luther wendete und dieser sich auf das schärfste
zur Wehr setzte gegen jenen zweiten, mythisch-astrologischen
Geburtstag: den 22. Oktober 1484.

Luther im Kampf mit italienischen und deutschen Nati-
vität spoliti kern. — Melanchthons Stellung zu Lucas
Gauricus.
Von Italien her, besonders von Padua, wo in dem Riesensaal
des Salone sich die Sterndeuter noch bis auf den heutigen Tag
einen Kultplatz für Sternfürchtige erhalten haben, strömte durch
das studierende Deutschland immer von neuem astrologische
 
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