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Warburg, Aby Moritz; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 26. Abhandlung): Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37732#0071
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Heidnisch-antike Weissagung in Wort und Bild zu Luthers Zeiten. 71
Die Unzulänglichkeiten dieses Vorversuches kannte der Ver-
fasser selbst nur zu genau. Aber er meinte, daß das Andenken
Useners und Dieterichs von uns fordert, dem Problem, das uns
kommandiert (wie den Verfasser die Frage nach dem Einfluß
der Antike) auch dann zu gehorchen, wenn es uns in Gebiete
schickt, die noch nicht urbar gemacht sind. Mögen sich Kunst-
geschichte und Religionswissenschaft, zwischen denen noch phraseo-
logisch überwuchertes Ödland hegt, in klaren und gelehrten Köpfen,
denen mehr zu leisten vergönnt sein möge, als dem Verfasser, im
Laboratorium kulturwissenschaftlicher Bildgeschichte an
einem gemeinsamen Arbeitstisch zusammenfinden.

„Ein großer Teil dessen, was man gewöhnlich Aberglauben nennt, ist
aus einer falschen Anwendung der Mathematik entstanden; deswegen ja auch
der Name eines Mathematikers mit dem eines Wahnkünstlers und Astrologen
gleich galt. Man erinnere sich der Signatur der Dinge, der Chiromantie, der
Punktierkunst, selbst des Höllenzwangs; alles dieses Unwesen nimmt seinen
wüsten Schein von der klarsten aller Wissenschaften, seine Verworrenheit von
der exaktesten. Man hat daher nichts für verderblicher zu halten, als daß
man, wie in der neueren Zeit abermals geschieht, die Mathematik aus der
Vernunft- und Verstandesregion, wo ihr Sitz ist, in die Region der Phantasie
und Sinnlichkeit freventlich herüberzieht.
Dunklen Zeiten sind solche Mißgriffe nachzusehen; sie gehören mit zum
Charakter. Denn eigentlich ergreift der Aberglaube nur falsche Mittel, um
ein wahres Bedürfnis zu befriedigen, und ist deswegen weder so scheltenswert,
als er gehalten wird, noch so selten in den sogenannten aufgeklärten Jahr-
hunderten und bei aufgeklärten Menschen.
Denn wer kann sagen, daß er seine unerläßlichen Bedürfnisse immer auf
eine reine, richtige, wahre, untadelhafte und vollständige Weise befriedige;
daß er sich nicht neben dem ernstesten Tun und Leisten, wie mit Glauben und
Hoffnung, so auch mit Unglauben und Wahn, Leichtsinn und Vorurteil hin-
halte?“ (Goethe, Materialien zur Geschichte der Farbenlehre, Roger Bacon.
Cottasche Jub.-Ausg. Bd. 40. S. 165).
 
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