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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0073
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Studien über Rudolf von Ems.

73

Rudolfs Stil und die lateinische Rhetorik.
Die rhetorischen Schmuckformen, colores rhetoricales,
sind fast durchweg ausdehnende Sprachelemente und gehören in
das große Gebiet der Stilerweiterung, der Amplificatio1.
Die oben für Rudolfs Stil als charakteristisch angeführten Formen,
die er von Gotfrid entlehnt hat, Wortwiederholung, Antithese,
Alliteration, Zweigliedrigkeit, Reihenbildung, Reimhäufung, sind
Schmuckmittel des hohen Stils auch der lateinischen Autoren des
Mittelalters und also Figuren der Schulrhetorik. Wie Rudolf, so
schwelgen auch die lateinischen Manieristen in der Häufung solcher
Zierrate. Am stärksten hat hier Alanus de Insulis eingewirkt2,
vermöge des großen Ansehens, das er — der Doctor universalis —
genoß. Seine Rhetorik ist, besonders in seinem Liber de planctu
Naturae und seinem Anticlaudianus, gekleidet in ein in den bunte-
sten Farben glänzendes Prunkgewand (vgl.Migne 210, 512B). Die
Wiederholungen und Wortspiele sind ganz ähnlich denen Rudolfs,
nur noch kunstvoller und spielerischer, z. B. im Prolog zum Planc-
tus Naturae (Sp. 431A) lösen sich als Schlagwörter ab fletus, fraus,
dolor: In lacrymas risus, in fletum gaudia verto, In planctum
plausus, in lacrymosa jocos, Gum sua naturam video secreta silere,
Cum Yeneris monstro naufraga turba perit. Gum Venus in Yenerem
pugnans, illos facit illas: Gumque suo magica devirat arte viros.
Non fraus tristitiam, non fraudes fletus adulter, Non dolus, imo
dolor parturit, imo parit. Musa rogat, dolor ipse jubet, natura
precatur, Ut donem flendo flebile carmen eis usw. Wie bei Rudolf
sind hier auch Alliterationen und der Gegensatz von Freud und
Leid (v. 1. 2) eingestreut. Und wie bei Rudolf die Schlagwörter
blüejen, bluot, bluome, so hier jloribus, jlore, florigero,flos, flosculus...
439ABC. 441 ABC. 514A, wie bei jenem lieht, so hier splendor
442 A. Auch in asyndetischen Aufzählungen (Reihen) hetzt Alanus
gern die Worte ab, auch darin Rudolf noch übertreffend, z. B.
Ergo decora, decens, gracilis, subtilis, acuta 514B. Im Anticlaud.
1 Vgl. oben S. 64; Cicero, De Oratore III, Kap. 53, 54; Ad. Herennium,
Buch IV; Quintilian VIII, Kap. 4; Volkmann2 S. 447—452; Notker (genus
copiosum), Piper I, 665 f.; Surgant S. 32.
2 Über des Alanus Stil s. Norden 2, 638. 754; K. IIampe, Beiträge zur
Geschichte der letzten Staufer, Ungedruckte Briefe aus der Sammlung des
Magisters Heinrich v. Isernia, S. 33 ff.; vgl. dazu Hampes Aufsätze in Bd. I.
II. III der S.-Ber. der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Eug.
Bossard, Alani de Insulis Anticlaudianus cum divina Dantis Alighieri Com-
media collatus, Andegavi 1885, S. 61 ff.
 
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