82
Gustav Ehrismann:
durch die textkritischeMethode unter Beiziehung literarisch-
historischer Beweismittel zeigen, daß ein gewisser Abschnitt bezw.
ein gewisser Ausdruck eher in den Alexander gehört als in den
Willehalm, dann ist der zeitliche Vorgang des Alexander erwiesen,
und umgekehrt.
Die augenfälligsten Berührungspunkte zwischen den beiden
Dichtungen liegen in den literarischen Selbstzitaten Rudolfs, da
wo er seine eigenen Werke nennt, d. h. im Alex. 3279—3289 und
im Willeh. 15631 — 15642. Bei der Bestimmung der Chronologie
sind darum auch immer diese Verse zugrunde gelegt worden. Im
Alexander hat er mit der Zusammenstellung und Besprechung der
Dichter eine wissenschaftliche Absicht verfolgt, er will eine kleine
Geschichte der deutschen höfischen Epik geben, da bringt er auch
zum Schluß seine eigenen Werke, wie das in den lateinischen
Literaturgeschichten üblich war (s. oben); im Willehalm, da-
gegen1 will er nur seine Bescheidenheit recht kräftig zum Aus-
druck bringen, damit, daß er alle seine dichterischen Vorgänger
und Zeitgenossen als ihm an Kunst überlegen rühmt (2170—2172.
2191. 2197. 2205. 2207f. 2217f. 2219. 2224f. 2231. 2243f.
2247—2251. 2264—2270). Der Dichterkatalog ist hier nur eine
weitere Ausführung des in Prologen typischen Demutsmotivs,
bei solcher Absicht kann aber der Dichter nicht noch hinterdrein
seine eigenen Werke, die ja minderwertig sein sollen, auf-
marschieren lassen. Dagegen paßte der Hinweis auf sie am
Ende des Gedichtes, wie im Barlaam, wo er von der Entstehung
des Werkes und von persönlichen Verhältnissen redet.
Junk hat energisch betont und mit der systematischen Anlage
der Alexanderstelle begründet (a. a. 0.), daß Rudolf hier den Wille-
halm sicher mit aufgeführt haben würde, wenn er ihn schon ge-
dichtet gehabt hätte. Ich möchte dem noch einen historischen
Analogieschluß hinzufügen: die mittelalterlichen Literarhistoriker
führen bei der Aufzählung ihrer Schriften alle ihre Werke auf
(s. oben), ja Hieronymus (Migne 23, 719), Sigebert (Migne 160,
587f.) und Hugo v. Trimberg (Renner 25ff.) deuten auch auf solche
hin, die noch nicht vollendet waren. Dasselbe würde auch Rudolf,
der ja, wie erwähnt, in den Alexanderprologen rhetorisch-wissen-
schaftliche Tendenzen verfolgte und die Gepflogenheit der latei-
1 Vgl. Junk, Beitr. 29, 446—448; es ist das Verdienst Junks, die Ver-
schiedenheit der Entstehungsbedingungen der literarischen Stellen im Alexan-
der und im Willehalm genauer bestimmt zu haben.
Gustav Ehrismann:
durch die textkritischeMethode unter Beiziehung literarisch-
historischer Beweismittel zeigen, daß ein gewisser Abschnitt bezw.
ein gewisser Ausdruck eher in den Alexander gehört als in den
Willehalm, dann ist der zeitliche Vorgang des Alexander erwiesen,
und umgekehrt.
Die augenfälligsten Berührungspunkte zwischen den beiden
Dichtungen liegen in den literarischen Selbstzitaten Rudolfs, da
wo er seine eigenen Werke nennt, d. h. im Alex. 3279—3289 und
im Willeh. 15631 — 15642. Bei der Bestimmung der Chronologie
sind darum auch immer diese Verse zugrunde gelegt worden. Im
Alexander hat er mit der Zusammenstellung und Besprechung der
Dichter eine wissenschaftliche Absicht verfolgt, er will eine kleine
Geschichte der deutschen höfischen Epik geben, da bringt er auch
zum Schluß seine eigenen Werke, wie das in den lateinischen
Literaturgeschichten üblich war (s. oben); im Willehalm, da-
gegen1 will er nur seine Bescheidenheit recht kräftig zum Aus-
druck bringen, damit, daß er alle seine dichterischen Vorgänger
und Zeitgenossen als ihm an Kunst überlegen rühmt (2170—2172.
2191. 2197. 2205. 2207f. 2217f. 2219. 2224f. 2231. 2243f.
2247—2251. 2264—2270). Der Dichterkatalog ist hier nur eine
weitere Ausführung des in Prologen typischen Demutsmotivs,
bei solcher Absicht kann aber der Dichter nicht noch hinterdrein
seine eigenen Werke, die ja minderwertig sein sollen, auf-
marschieren lassen. Dagegen paßte der Hinweis auf sie am
Ende des Gedichtes, wie im Barlaam, wo er von der Entstehung
des Werkes und von persönlichen Verhältnissen redet.
Junk hat energisch betont und mit der systematischen Anlage
der Alexanderstelle begründet (a. a. 0.), daß Rudolf hier den Wille-
halm sicher mit aufgeführt haben würde, wenn er ihn schon ge-
dichtet gehabt hätte. Ich möchte dem noch einen historischen
Analogieschluß hinzufügen: die mittelalterlichen Literarhistoriker
führen bei der Aufzählung ihrer Schriften alle ihre Werke auf
(s. oben), ja Hieronymus (Migne 23, 719), Sigebert (Migne 160,
587f.) und Hugo v. Trimberg (Renner 25ff.) deuten auch auf solche
hin, die noch nicht vollendet waren. Dasselbe würde auch Rudolf,
der ja, wie erwähnt, in den Alexanderprologen rhetorisch-wissen-
schaftliche Tendenzen verfolgte und die Gepflogenheit der latei-
1 Vgl. Junk, Beitr. 29, 446—448; es ist das Verdienst Junks, die Ver-
schiedenheit der Entstehungsbedingungen der literarischen Stellen im Alexan-
der und im Willehalm genauer bestimmt zu haben.