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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0113
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Studien über Rudolf von Ems.

113

Dichtungen sehr häufig. Die darin anbefohlenen Tugenden kehren
stereotyp wieder, so auch hier bei Rudolf1.
Im Gegensatz hierzu enthalten die Beschreibungen, die Rudolf
von der tatsächlichen Lebensführung Willehalms gibt, nichts von
Gott, heben vielmehr als Gipfel seines Glanzes hervor, daß er
der weite prts bejagete, daß er gepriset wurde 15066. 15231. 15247.
15249. 15454. Aber Willehalm erlebt im Alter eine Wandlung:
nachdem er den höchsten Preis dieser Welt errungen und genos-
sen hatte, da fällt ihm ein, daß er das irdische Glück der Gnade
Gottes verdankt2. Jetzt kommt er zur Einsicht, daß die Welt-
tugenden (es sind die bona fortunae, das utile, 15555 — 15558) vor
dem grimmen Tod nicht schützen, jetzt wirbt er nach dem immer-
währenden Lohn 15521 — 15568, und jetzt erst lebt er nach der
Lehre, die ihm sein Pflegevater Jofrit erteilt hatte (vgl. bes. 15188
bis 15200, auch 15129 — 15136). Willehalm hat also eine Läuterung
durchgemacht: die Fürstenlehre verlangt, daß der Herrscher Got,
ere und guot in sich vereinige, Willehalm aber hat in der Blüte
seiner Jahre doch eigentlich nur nach dem Preis der Welt gelebt
und erst im Alter ist er zur Gotteserkenntnis gelangt, und nun hat
er dasjenige Maß der Tugend erreicht, zu dem ein in der Welt
lebender Mensch gelangen kann: die Pflichten dieser Welt zu er-
1 Eine sehr ausführliche Jugendlehre gibt Jofrit seinem scheidenden
Pflegesohn Willehalm, der ein Frauenritter werden will (3256-—3276), auf
den Weg 3247—-3450. Zuerst stattet er ihn mit dem guot (utile) aus und
unterrichtet ihn im Gebrauch desselben 3290—3355, dann läßt er ein umfäng-
liches Tugendregister folgen (honestum) 3387—3450. Es ist eine weltliche
Sittenlehre, an Gott wird der junge Mann nur gemahnt mit dem allgemeinen
Gebot vor allen dingen minne Got 3395, das an den Eingang der Tugendreihe
gestellt ist. Nachdrücklicher wird unter dieser die Frauenminne betont 3433
bis 3447. Der Unterschied zwischen den Fürstenlehren und den Tugend-
lehren besteht im wesentlichen darin, daß in jenen noch besonders Regenten-
pflichten geboten werden, also z. B. Friede und Gerechtigkeit, gute Behand-
lung der Untertanen. Rudolf aber hat in den beiden Lehren Jofrits eine Stufen-
folge der Sittlichkeit entwickelt: in der Fürstenlehre, der Lehre an den Mann,
ist eine tiefere Lebensweisheit niedergelegt, sie fordert auf zum Nachdenken
über Gott und den Wert des irdischen Daseins 15188—15195, und anstatt
des Minnewesens 3433 ff. wird ein reines Weib als das beste von Gott ver-
liehene Lebensgut geschätzt 15196—-15200. Mit der Jugendlehre schickt
Jofrit seinen Schützling in die Welt, wie Gahmuret den unreifen Knaben
Parzival, mit der Fürstenlehre lenkt er ihn zu Gott, wie Trevrizent den im
Zweifel ringenden Mann.
2 Er verfällt nicht in die tragische Schuld des Herrn Heinrich von Ouwe,
der in seinem Glücke Gottes vergißt.

Ehrismann, Studien über Rudolf von Ems.
 
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