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Ehrismann, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1919, 8. Abhandlung): Studien über Rudolf von Ems: Beiträge zur Geschichte d. Rhetorik u. Ethik im Mittelalter — Heidelberg, 1919

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https://doi.org/10.11588/diglit.37685#0115
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Studien über Rudolf von Ems.

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stellt er die rechte und göttliche Lehre vom Kampf mit der Welt
gegenüber, mit ganzer wärheit, äne liige: sunder spot und äne trüge
Barl. 404, 5-201.
In dem lehrhaften Abschluß des Willehalm, der etwa mit
14951 einsetzt, treten drei Eigenschaften des Dichters hervor, die
für seine besondere Stellung gegenüber den Dingen charakteristisch
sind: die praktisch-sittliche, die religiöse und die geschichtliche
Auffassung des Lebens: sie bilden mehr oder minder in allen
Werken Rudolfs wesentliche Bestandteile der inneren Form. Der
gute Gerhard und der Barlaam dienen zur Erbauung, der
Kaufmann und der Mönch besitzen eine höhere Vollkommenheit,
die bessere Gerechtigkeit. Es sind vergeistigte Menschen, denn
ein Strahl von Gottes Gnade ist auf sie gefallen. Die Weltgeschichte
ist die Erscheinungsform des christlichen Dualismus, in der Welt-
chronik scheidet sich das Reich der Behaltenen von dem der
Verworfenen. Der Staat der Gnade ist die Offenbarung Gottes
in der Weltgeschichte, das Reich der Sünde hat den Teufel zum
Herrn.
Alle Dichtungen Rudolfs sind Bekenntnisse seiner Welt-
anschauung, sie haben symbolischen Gehalt: es ist die ernst-
sittliche Überzeugung des Laien, die demütig den Abstand zwischen
Menschlichem und Göttlichem empfindet, aber darum doch das
Leben nicht für wertlos oder gar für verwerflich erachtet; Gott
ist ja selbst der Schöpfer auch der irdischen Güter. Uns, den in
der Welt Lebenden, ist die Aufgabe gestellt, kräftig auch für
dieses Leben zu arbeiten, vor allem um Leid zu lindern, und wenn
wir dann Ehre erlangen, so dürfen wir uns dieser Ehre auch be-
scheiden, ohne Ruhmsucht, freuen. Rudolf selbst hat die ihm
verliehenen Gaben (sinen orden) redlich angewendet, er hat für
die geistige Erziehung seines Volkes gearbeitet und er hat für sein
eigenes Wirken Ehre geerntet, die Sselde hat ihn geleitet aus der
engeren Schweizerheimat zu einflußreichen schwäbischen Adels-
geschlechtern und schließlich an den Hof des Kaisers. Aber ver-
gänglich ist unser Leben zusamt seiner Ehre, darum sollen wir
schon hier ein höheres Lehen im Geiste, in Gott, führen und
stets auf unser Seelenheil bedacht sein, damit wir dereinst eine
unvergängliche Ehre, die ewige Krone, erlangen. Das wahre Wissen
1 Über die Lüge (Erfindungen der Phantasie) der weltlichen Romane
s. Thomasin: die aventiure sint gekleit dicke mit lüge harte schöne: diu lüge
ist ir gezierde kröne usw. W. Gast 1118—1124, ferner 1139—4143.

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