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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0007
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Exotismns der Sinne.

7

Der entscheidende Punkt ist die Intensität der Sinnesempfin-
dungen. Auf Grund des heftigen Verlangens seiner Sinne kommt
der Exotist immer wieder dazu, die Welt, in der er lebt, nicht als
die seinige zu betrachten, sondern die Welt, nach der seine Sinne
verlangen und in die er sich nur mit Hilfe der Phantasie hinein-
versetzen kann. Damit beginnt die Jagd nach ungewöhnlichen
Emotionen, die unter Umständen hysterische Formen annimmt.
Der Vergleich mit den Mitmenschen, denen diese Veranlagung
und diese Bedürfnisse fremd sind, laßt den Exotisten noch über
das bei den Romantikern übliche Maß hinaus sich selbst im
Lichte eines höher gearteten Wesens sehen.
Exotismus ist nun aber nicht aufzufassen als eine Veran-
lagung, die den betreffenden Menschen ganz und gar kennzeichnet,
sondern läßt daneben Spielraum für alle möglichen anderen An-
lagen, Bedürfnisse und Interessen. Die Bezeichnung „Exotist“
erschöpft niemals auch nur die künstlerische Eigenart eines
Dichters, aus dem einfachen Grunde, weil sich zu vielen un-
abweisbaren Fragen der Kunst gar kein Zugang und gar keine
Einstellung vom Exotismus her eröffnet. Das Betätigungsfeld
des Exotismus ist ein so beschränktes, daß jeder exotistische
Schriftsteller auch Werke verfaßt hat, die mit Exotismus gar
nichts zu tun haben; ja er kann seine Dichtungen im Orient oder
in der Antike spielen lassen, ohne dabei seine exotistische Ver-
anlagung zur Geltung zu bringen. An einer ganzen Reihe von
Persönlichkeiten läßt sich weiterhin feststellen, daß Exotismus
keine unveränderliche Veranlagung darstellt, daß vielmehr im
Alter die Forderungen der Sinne und damit auch die exotistischen
Neigungen abnehmen. Aber auf der anderen Seite gehört der
Exotismus unzweifelhaft zu den Grundeigenschaften, welche die
Entwicklung des betreffenden Menschen trotz aller etwaiger
Schwankungen entscheidend beeinflussen. Nach diesem Krite-
rium haben wir die Entscheidung zu fällen, ob wir von einer exo-
tistischen Veranlagung zu sprechen haben oder nicht. So gesehen
ist ein Mensch wie etwa Lord Byron? kein Exotist, obwohl er 'eine
ganze Reihe exotistischer Merkmale zeigt. Wohl bringt auch ihn
der ennui in Gegensatz zu seinem Lande und der herkömmlichen
extreme Fall ein, daß durch eine konsequente Einstellung auf die Welt der
Sinne der im Christentum vorhandene Zwiespalt zwischen Sinnenglück und
Seelenfrieden wie der Zwiespalt zwischen künstlerischem und unkünstlerischem
Teil des Lebens wirklich überwunden wird,
 
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