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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0019
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Exotismüs der Sinne.

19

der Geniekultus und die Forderung von der Freiheit der Sinne
und des „Herzens“ ein guter Nährboden für exotistische Nei-
gungen. Für die Emanzipation der Sinne hatten die französischen
Enzyklopädisten und in ihrem Gefolge Wieland vorgearbeitet.
Heinses Exotismus erwächst wie der fast aller seiner Nachfolger
aus dem ennui. Das Verlangen nach einem Ausleben der Sinne
und die Verehrung der Schönheit erzeugen in ihm Abneigung
gegen den Bürger und Unzufriedenheit mit der Gegenwart. Seine
Begeisterung für naive Sinnlichkeit, Wildheit und Energie er-
innert in mancher Hinsicht an Stendhal. In einigen Aufzeich-
nungen aus den Jahren 1782—83, die einer frühen Fassung des
Ardinghello anzugehören scheinen, heißt es in bezug, auf den
Helden: „Alle Kräfte, alles schöne Leben in der Natur zu kosten
und sich daran zu sättigen, ist, was ihn treibt. Bloß bürgerliches
Verhältnis und tote Gewohnheit sein Haß.“17 Heinses unersätt-
liches Verlangen nach Emotionen findet beredten Ausdruck in
den Worten seiner Fiordamina (I 9. 35): „Daß dies die reine wahre
Lust ist, mit seiner ganzen Person, so wie man ist, wie ein Ele-
ment göttlich, einzig unzerstörbar, lauter Gefühl und Geist, gleich
einem Tropfen im Ozean durch das Meer der Wesen zu rollen,
alles Vollkommne zu genießen, und von allem Vollkommnen ge-
nossen zu werden, ohne auf demselben Flecke kleben zu
bleiben.“ Dieses ganze Verlangen gipfelt in der Sehnsucht nach
den Zeiten, die nach seiner Ansicht der ursprünglichen Kraft
der Sinne und der Schönheit noch ihr Hecht ließen, nach Antike
und Benaissance. Sein Roman Ardinghello (1787), den er be-
reits 1780 plante, zeigt am deutlichsten die Richtung seines
Exotismus. Wenn der Roman auch in der Renaissance spielt,
so steht 'doch ganz ähnlich wie später in Gautiers Mademoiselle
de Maupin obenan der Gegensatz von Gegenwart und Antike,
in geringerem Grade au'ch der von Christentum und Heidentum.
Statt der Gedankenerotik Wielands, die im fadenscheinigen mora-
lischen Mäntelchetn einhersehritt, 'haben wir im Ardinghello eine
leidenschaftliche Erotik des Gefühls, die ihr Gegenstück in den
freien Sitten des Altertums und der Renaissance erkennt. Nicht
umsonst gehörten Petronius und Apulejus zu Heinses frühester
Lektüre. 1772 beireits hatte er seinen geliebten Petro«, in einer
Übersetzung erscheinen lassen, begleitet von berüchtigten Fuß-
noten. Weiteres erotisches Material lieferte Meursius. Ardinghello

17 Werke hg. v. Schüddebopf 1405.

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