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Brie, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1920, 3. Abhandlung): Exotismus der Sinne: eine Studie zur Psychologie der Romantik — Heidelberg, 1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.37770#0021
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Exotismus der Sinne.

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finden: „Wenn wir ein halbes Säkulum alter Römer und Rö-
merinnen der ersten Jahrhunderte erwecken könnten, so würden
sie sich aus Ekel, langer Weile und Verzweiflung über das heu-
tige Elend binnen wenig Tagen aufhenken“ (1272). Aus den-
selben Gründen wie der Antike wendet sich sein Exotismus der
Renaissance zu, die ihn von der ersten Bekanntschaft im Jahre
1775 an nicht wieder losgelassen hatte. So verlegt er die ganze
Handlung des Ardinghello aus dem Grunde in das Milieu der
Medicäischen Familienmorde und Unzuchtstaten, weil er die
Gesellschaft unter den Fürsten der Renaissance der von Claudius
und Nero ähnlich findet (1150).
Der Gegensatz von Antike und moderner Kultur, der bei
Heinse eine so bedeutsame Rolle spielt, wurde ebenso wie der
Gegensatz zwischen Heidentum und Christentum, der schon
Lessing, Winckelmann, Herder, Goethe, Schiller und andere,
zumeist im Sinne eines Gegensatzes von Pantheismus und Dualis-
mus, beschäftigt hatte, von Heinrich Heine verschoben und zu-
gespitzt zu seiner Antithese von Hellenismus und Nazarenertum.
So häufig Heine in der Verfolgung dieses Gedankens exotis tischen
Ideen sich zu nähern scheint, so wenig kann er seiner ganzen
Veranlagung nach, die nur relative Werte kannte, zu den eigent-
lichen Vertretern des Exotismus gerechnet werden.
III.
Im Gegensatz zu Deutschland treten in England wie in Frank-
reich exotistische Erscheinungen erst auf, als die romantische
Strömung zur vollen Entfaltung gekommen ist. England geht,
zeitlich betrachtet, Deutschland um einige Jahre und Frankreich
um einige Jahrzehnte voraus. Wenn man auch bei der
autochtbonen Entwicklung, die der Exotismus in den verschie-
denen Ländern genommen hat, England deshalb nicht als das
Heimatland des Exotismus bezeichnen darf, so ist die Tatsache
der Priorität gegenüber Deutschland und Frankreich immerhin
auffallend. Sie erklärt sich i'n der Hauptsache daraus, daß die
ganze romantische Bewegung in England erheblich früher ein-
setzt als in Deutschland und Frankreich; schon in den neunziger
Jahren des 18. Jahrhunderts erreicht in England der Kultus des
Wunderbaren in den Erzeugnissen der Schreckensschule einen
Höhepunkt. Auffallender noch erscheint auf den ersten Blick,
wenn man von der durchschnittlichen Psyche des Engländers
 
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