30
E. Frh. v. Künssberg:
der Grund dafür, daß Kinder beim Grenzgang um einen Grenz-
stein geführt werden1. Knüpfen sich doch auch andere religiöse
Riten an den Grenzstein. Von der oberen Nahe wird der Brauch
berichtet, daß der Säugling, der beim Stillen Schwierigkeiten
macht, an einen Dreigrenzenmarkstein2 getragen und unter An-
rufung Gottes herumgetragen wird; ebenso auch wenn er ent-
wöhnt werden soll. Ja, man schlug wohl auch ein Stück vom Mark-
stein ab und nahm es mit heim um seiner Wirkung sicher zu sein3.
Auch in anderer Weise kann die höhere Gewalt, die den Grenz-
stein umschwebt, dem Kinde helfen. Heidelbeeren pflückende
Kinder legen auf einem Grenzstein drei Wählen (Heidelbeeren),
welcher daher der Wählestein heißt4; sonst verschütten sie ihren
Ertrag. Das Kind opfert also am Grenzstein.
43. Ob das Durchkriechen durch die Mauer, das beim Grenz-
begang vorkommt5, irgendwelche Beziehungen zu dem abergläu-
bischen Durchkriechen durch Bäume, Steine usw. hat, mag dahin-
gestellt bleiben; ist es doch ebensogut denkbar, daß man nur sich
ganz genau an die Grenzlinie halten wollte beim Umgang; wenn
diese durch eine Mauer führte, so mußte man eben da hindurch.
Der religiöse Einschlag fehlt auch der Mitwirkung der Kinder
beim Strafvollzug nicht. Schulkinder mußten wie erwähnt bei der
Hinrichtung Sterbelieder singen, um die Feier eindrucksvoller zu
gestalten6.
44. Das unschuldige Kind steht unter dem Schutze des Himmels,
auch gegen den weltlichen Richter. Der Himmel rächt es, wenn
ein grausamer Richter ein unschuldiges Kind hinrichten läßt. Das
1 Knuchel, Umwandlung, 108 (mit weiterer Literatur), der jedoch in
dem Führen um den Grenzstein nur eine Milderung der Grenzohrfeige sieht.
2 Über die Besonderheiten solcher Punkte vgl. Grimm, Grenzaltertümer
(Kl. Sehr. 2, 65ff.). Strnadt, Grenzbeschr. von Landgerichten des Innviertels,
1913, 735. 759.
3 ZRhWVk. 2 (1905), 180f. Zu diesem Ritus vgl. Knuchel, Umwand-
lung, S. 27 (Ehepaar tanzt um einen hl. Stein, damit die Ehe fruchtbar und
die Frau gut stillen kann; französisch), ebd. S. 58 der württemb. Brauch,
Kühe dreimal um den Grenzstein zu führen unter Aussprechen der drei höch-
sten Namen. Weitere Beispiele für Steinumwandlung ebd. 55 ff.
4 ZRhWestVk. 8 (1911), 178. Vgl. ebd. 1 (1904), 231.
5 Grimm, Grenzaltertümer 65, berichtet von 2 Fällen in Hessen.
6 Renger, Hinrichtungen als Volksfeste. Süddeutsche Monatshefte 10
(1913), 2, S. 8ff.; vgl. auch §13.
E. Frh. v. Künssberg:
der Grund dafür, daß Kinder beim Grenzgang um einen Grenz-
stein geführt werden1. Knüpfen sich doch auch andere religiöse
Riten an den Grenzstein. Von der oberen Nahe wird der Brauch
berichtet, daß der Säugling, der beim Stillen Schwierigkeiten
macht, an einen Dreigrenzenmarkstein2 getragen und unter An-
rufung Gottes herumgetragen wird; ebenso auch wenn er ent-
wöhnt werden soll. Ja, man schlug wohl auch ein Stück vom Mark-
stein ab und nahm es mit heim um seiner Wirkung sicher zu sein3.
Auch in anderer Weise kann die höhere Gewalt, die den Grenz-
stein umschwebt, dem Kinde helfen. Heidelbeeren pflückende
Kinder legen auf einem Grenzstein drei Wählen (Heidelbeeren),
welcher daher der Wählestein heißt4; sonst verschütten sie ihren
Ertrag. Das Kind opfert also am Grenzstein.
43. Ob das Durchkriechen durch die Mauer, das beim Grenz-
begang vorkommt5, irgendwelche Beziehungen zu dem abergläu-
bischen Durchkriechen durch Bäume, Steine usw. hat, mag dahin-
gestellt bleiben; ist es doch ebensogut denkbar, daß man nur sich
ganz genau an die Grenzlinie halten wollte beim Umgang; wenn
diese durch eine Mauer führte, so mußte man eben da hindurch.
Der religiöse Einschlag fehlt auch der Mitwirkung der Kinder
beim Strafvollzug nicht. Schulkinder mußten wie erwähnt bei der
Hinrichtung Sterbelieder singen, um die Feier eindrucksvoller zu
gestalten6.
44. Das unschuldige Kind steht unter dem Schutze des Himmels,
auch gegen den weltlichen Richter. Der Himmel rächt es, wenn
ein grausamer Richter ein unschuldiges Kind hinrichten läßt. Das
1 Knuchel, Umwandlung, 108 (mit weiterer Literatur), der jedoch in
dem Führen um den Grenzstein nur eine Milderung der Grenzohrfeige sieht.
2 Über die Besonderheiten solcher Punkte vgl. Grimm, Grenzaltertümer
(Kl. Sehr. 2, 65ff.). Strnadt, Grenzbeschr. von Landgerichten des Innviertels,
1913, 735. 759.
3 ZRhWVk. 2 (1905), 180f. Zu diesem Ritus vgl. Knuchel, Umwand-
lung, S. 27 (Ehepaar tanzt um einen hl. Stein, damit die Ehe fruchtbar und
die Frau gut stillen kann; französisch), ebd. S. 58 der württemb. Brauch,
Kühe dreimal um den Grenzstein zu führen unter Aussprechen der drei höch-
sten Namen. Weitere Beispiele für Steinumwandlung ebd. 55 ff.
4 ZRhWestVk. 8 (1911), 178. Vgl. ebd. 1 (1904), 231.
5 Grimm, Grenzaltertümer 65, berichtet von 2 Fällen in Hessen.
6 Renger, Hinrichtungen als Volksfeste. Süddeutsche Monatshefte 10
(1913), 2, S. 8ff.; vgl. auch §13.