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Gerhard Ritter:
lebhafte Agitation für ihn1 — die französischen Kardinale waren es,
von denen die Opposition ausging. Und da entschied nun — soweit
sich erkennen läßt — nicht so sehr die gemeinsame Zugehörigkeit
zu der französischen Hochschule, als die nationale Herkunft über
das Verhalten der einzelnen Gesandten: während die der nicht-
deutschen Nationen unentschlossen in Südfrankreich die Rückkehr
des Papstes nach Avignon erwarteten oder gar sich der Opposition
in Anagni in die Arme warfen, kehrte Gerhard von Calkar ohne
Erledigung seines Auftrags noch vor Ende September nach Paris
zurück2. Marsilius von Inghen aber, der am 21. Februar 1379
durch einen Kollegen in der deutschen Nation sich vertreten ließ,
also wohl noch nicht in Paris weilte3, erscheint seitdem überhaupt
nicht mehr in den Akten der Universität.
Es bleibt dunkel, aus welchem Grunde. An ein vorwiegend
theologisches Studium zu denken, das ihn der Teilnahme an den
Geschäften seiner Nation und damit ihren Aktenmitteilungen ent-
zogen hätte, verbietet schon die Tatsache, daß er 1386 noch nicht
als Bakkalar der Theologie bezeichnet wird. Aber auch seine
ungenaue Kenntnis der späteren Vorgänge an der Universität, wie
sie seine Darstellung von 1391 zeigt, die ich unten im Anhang
abdrucke, spricht mehr gegen als für die Annahme eines weiteren
Pariser Studiums. Eher möchte man einen längeren Aufenthalt
in Italien vermuten, da dieselbe Denkschrift eine immerhin auf-
fallende Kenntnis einzelner italienischer Ereignisse der nächsten
Jahre zeigt. Entscheidend aber ist für unser Urteil die Entwicklung
der Verhältnisse an der Pariser Universität: es ist schlechthin
undenkbar, daß Marsilius in der nun folgenden Epoche gewaltigster
Spannung, deren Verlauf wir aus den Akten bis ins einzelne ver-
folgen können, keinerlei Rolle gespielt haben sollte, falls er noch
Pariser Lehrer war. Da er aber später zu diesen Dingen theoretisch
und praktisch sehr entschieden Stellung genommen hat, müssen
wir gleichwohl noch einen Blick auf ihre Entwicklung werfen.
1 Lindner I, 91.
2 Auct. I, 562 — 3. Chart. III, nr. 1419 N. Das nationalfranzösische
Interesse an der Wahl Clemens’ VII., insbesondere bei Karl V., halten die
deutschen Forscher gegen den Widerspruch von N. Valois für erwiesen.
Vgl. Haller, cap. 2; B. Bess, p. 48 ff.; Hauck, K. G. V, 2, 682 ff.
3 Auct. I, 570. Es handelt sich um die Anforderung von rückständigen
20 Franken Reisegeld für eine Gesandschaft nach Avignon zu Gregor XI.
(wohl 1377).
Gerhard Ritter:
lebhafte Agitation für ihn1 — die französischen Kardinale waren es,
von denen die Opposition ausging. Und da entschied nun — soweit
sich erkennen läßt — nicht so sehr die gemeinsame Zugehörigkeit
zu der französischen Hochschule, als die nationale Herkunft über
das Verhalten der einzelnen Gesandten: während die der nicht-
deutschen Nationen unentschlossen in Südfrankreich die Rückkehr
des Papstes nach Avignon erwarteten oder gar sich der Opposition
in Anagni in die Arme warfen, kehrte Gerhard von Calkar ohne
Erledigung seines Auftrags noch vor Ende September nach Paris
zurück2. Marsilius von Inghen aber, der am 21. Februar 1379
durch einen Kollegen in der deutschen Nation sich vertreten ließ,
also wohl noch nicht in Paris weilte3, erscheint seitdem überhaupt
nicht mehr in den Akten der Universität.
Es bleibt dunkel, aus welchem Grunde. An ein vorwiegend
theologisches Studium zu denken, das ihn der Teilnahme an den
Geschäften seiner Nation und damit ihren Aktenmitteilungen ent-
zogen hätte, verbietet schon die Tatsache, daß er 1386 noch nicht
als Bakkalar der Theologie bezeichnet wird. Aber auch seine
ungenaue Kenntnis der späteren Vorgänge an der Universität, wie
sie seine Darstellung von 1391 zeigt, die ich unten im Anhang
abdrucke, spricht mehr gegen als für die Annahme eines weiteren
Pariser Studiums. Eher möchte man einen längeren Aufenthalt
in Italien vermuten, da dieselbe Denkschrift eine immerhin auf-
fallende Kenntnis einzelner italienischer Ereignisse der nächsten
Jahre zeigt. Entscheidend aber ist für unser Urteil die Entwicklung
der Verhältnisse an der Pariser Universität: es ist schlechthin
undenkbar, daß Marsilius in der nun folgenden Epoche gewaltigster
Spannung, deren Verlauf wir aus den Akten bis ins einzelne ver-
folgen können, keinerlei Rolle gespielt haben sollte, falls er noch
Pariser Lehrer war. Da er aber später zu diesen Dingen theoretisch
und praktisch sehr entschieden Stellung genommen hat, müssen
wir gleichwohl noch einen Blick auf ihre Entwicklung werfen.
1 Lindner I, 91.
2 Auct. I, 562 — 3. Chart. III, nr. 1419 N. Das nationalfranzösische
Interesse an der Wahl Clemens’ VII., insbesondere bei Karl V., halten die
deutschen Forscher gegen den Widerspruch von N. Valois für erwiesen.
Vgl. Haller, cap. 2; B. Bess, p. 48 ff.; Hauck, K. G. V, 2, 682 ff.
3 Auct. I, 570. Es handelt sich um die Anforderung von rückständigen
20 Franken Reisegeld für eine Gesandschaft nach Avignon zu Gregor XI.
(wohl 1377).