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Studien zur Spätscholastik. I.

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Ausbildung einer genetischen Theorie des Erkenntnisprozesses von
sehr weitreichender historischer Wirkung. Die skeptische Ant-
wort Okkams auf die Frage nach der rationalen Beweiskraft der
Glaubenssätze, verbunden mit kirchlichem und dogmatischem
Positivismus und starker Betonung der biblischen Autorität, hat
das geschlossene philosophisch-theologische System der Hoch-
scholastik ins Wanken gebracht und in erheblichem Umfange den
theologischen Ideen der Deformation vorgearbeitet; der okka-
mistische Wissenscbaftsbegriff mit seinen sensualistisch-empiri-
stischen Tendenzen und seiner Abneigung gegen die metaphysische
Konstruktion kann als Vorläufer der englischen Aufklärung des
17. Jahrhunderts gelten. Mit den Sammelnamen ,,Nominalismus“
und ,,Terminismus“ ist der Inhalt dieser Erkenntnislehre nur sehr
mangelhaft bezeichnet; der „terministischen“ Logik verdankte sie
nur die methodische Form, nicht den Anlaß und Inhalt1. Inner-
halb der ,,okkamistischen“ Schule waren überdies die verschieden-
sten Färbungen möglich. Um die Tragweite der prinzipiellen Wen-
dung zum Nominalismus für die Lehre des Marsilius zu begreifen,
wird es deshalb nicht genügen, seine theoretische Meinung über
Ursprung und Werdegang der Erkenntnis zu studieren, sondern es
gilt seine grundsätzliche Stellungnahme zu dem Problem: Empiris-
mus oder Rationalismus ? durch eine Betrachtung seiner natur-
wissenschaftlichen Leistungen zu ergänzen, seine Antwort auf die
Frage des Verhältnisses von Glauben und Wissen aus seiner theo-
logischen Arbeit zu eruieren.
Erst von diesem Punkte aus übersehen wir die ganze Trag-
weite unserer Untersuchung. Welche Bedeutung hat das Denken
Okkams für die nähere Gestaltung der deutschen Wissenschaft seit
dem Ende des 14. Jahrhunderts- gewonnen ? Was ist eigentlich der
Lehrinhalt der so vielgenannten ,,modernen“ Doktrin auf deutschen
Universitäten, in der Physik, Metaphysik und Theologie ? Keine
dieser Fragen ist bisher zureichend beantwortet. In der Tat liegen
1 Das wird mit Recht von Scheel I2, 180 und 305, anm. 83 betont; seine
Polemik gegen Siebeck (A. f. Ph. X, 321) ist jedoch nicht durchweg ver-
ständlich. Siebeck behauptet ja nicht mehr, als daß die „byzantinische
Logik“ dem Nominalismus Okkams „hauptsächlich“ die „methodische Aus-
prägung“ verliehen habe, was sich doch garnicht bestreiten läßt! — Daß
der dogmatische Glaubensbegriff des Okkamismus nicht mit der modernen
Theorie der Werturteile zusammengebracht werden darf, ist allerdings durch-
aus zutreffend.
 
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