Studien zur Spätscholastik. I.
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seelischen Qualität als Gegenstand der Erkenntnis leugnete1. Der
Einzelbegriff des Urteils wird als entfernter, die durch ihn ver-
tretene Sache als entferntester Gegenstand des Wissens bezeichnet
(obiectum remotum bezw. remotissimum assensus) — offenbar eine
selbstgebaute Lieblingsdistinktion unseres Autors, die er bei jeder
Gelegenheit wiederholt2. Man darf sie wohl als einen Versuch be-
trachten, trotz der ausschließlich subjektiven Gestaltung des Denk-
prozesses das objektive Ding als Gegenstand des Wissens zu retten,
wenn auch nur als den „entferntesten“.
In der Tat zeigt sich in diesem nahen Verhältnis der sub-
jektiven Begriffswelt zu den objektiven Dingen der Ausweg aus
der soeben berührten Schwierigkeit, den Grund für Bejahung bezw.
Verneinung des Urteils zu finden. Es besteht nicht der mindeste
grundsätzliche Zweifel, daß der Erkenntnisprozeß trotz seiner
Subjektivität dem sachlichen Verhältnis der äußeren Dinge unter-
einander entspricht. Das wird am klarsten in der handschriftlich
überlieferten „Metaphysik“ ausgesprochen. Sehr einfach liegt
dieses Verhältnis zunächst für die inkomplexen Einzelbegriffe, die
prüni actus intellectus. die er aus den phantasmata der sinnlichen
Wahrnehmung bildet; sie können gar nicht „falsch“ sein, da sie
„auf natürlichem Wege“ aus den Dingen selbst entstehen3 * *. Und
1 L. c. Bl 12, b ff Die sehr ausführliche Polemik zeigt eine dem M.
v. 1. sonst ungewöhnliche Heftigkeit, die wohl aus gewissen Bl. 12, c angedeu-
teten Erfahrungen in der Disputation zu erklären ist. Sachlich ist die Differenz
garnicht so groß. Gregor, der die interessante Debatte auf eine wirklich
philosophische Höhe hebt (In I. lib. sent. prob, qu. 1, art. 1., concl. 1 — 3,
Bl. 2 — 2V) bekämpft die extrem nominalistische Meinung einerseits, der
Gegenstand des Wissens sei die conclusio demonstrationis selbst (so Okkam),
die realistische Meinung andrerseits, es sei eine res extra animam; er selbst
bezeichnet als Gegenstand des Wissens das significatum totale conclusionis,
also den sachlichen Inhalt der im Urteil ausgesprochenen Aussage; das Urteil
zielt niemals auf sich selbst, sondern auf seinen Gegenstand. Man sieht: hier
wird der Wahrheitsgrund des Erkennens sehr ernsthaft gesucht! Nun will
auch M. v. I. einen sachlichen Grund des Urteils in den Dingen selbst finden.
Seine Lösung (s. sogleich im Text!) ist aber viel äußerlicher. Prantl IV, 13,
N. 49, 78, N. 301 u. 98, N. 398 bringt die Stelle bei Gregor mißverständlich
mit den Ansichten Alberts von Sachsen und des M. v. I. zusammen. Mit
Gregor scheint Albert übereinzustimmen, aber nicht mit M. v. I.!
2 Z. B. lib. I prior. analyt., qu. 1, Bl. 1, a; abbrev. phys. Bl 3, c; lib.
sent. III, qu. 14, art. 2, N. 1, Bl. 453 u. ö.
3 metaphysica (Hs. nr. 75) 1. VI, qu. 6 (Register nr. 42) art. 3, concl. 1,
Bl. 77, d: Omnis primus actus intellectus est verus. . . quocl fundatur in re et
causatur mente t>el in mente a re. Er kann nicht „falsch11 sein, da er non habet
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seelischen Qualität als Gegenstand der Erkenntnis leugnete1. Der
Einzelbegriff des Urteils wird als entfernter, die durch ihn ver-
tretene Sache als entferntester Gegenstand des Wissens bezeichnet
(obiectum remotum bezw. remotissimum assensus) — offenbar eine
selbstgebaute Lieblingsdistinktion unseres Autors, die er bei jeder
Gelegenheit wiederholt2. Man darf sie wohl als einen Versuch be-
trachten, trotz der ausschließlich subjektiven Gestaltung des Denk-
prozesses das objektive Ding als Gegenstand des Wissens zu retten,
wenn auch nur als den „entferntesten“.
In der Tat zeigt sich in diesem nahen Verhältnis der sub-
jektiven Begriffswelt zu den objektiven Dingen der Ausweg aus
der soeben berührten Schwierigkeit, den Grund für Bejahung bezw.
Verneinung des Urteils zu finden. Es besteht nicht der mindeste
grundsätzliche Zweifel, daß der Erkenntnisprozeß trotz seiner
Subjektivität dem sachlichen Verhältnis der äußeren Dinge unter-
einander entspricht. Das wird am klarsten in der handschriftlich
überlieferten „Metaphysik“ ausgesprochen. Sehr einfach liegt
dieses Verhältnis zunächst für die inkomplexen Einzelbegriffe, die
prüni actus intellectus. die er aus den phantasmata der sinnlichen
Wahrnehmung bildet; sie können gar nicht „falsch“ sein, da sie
„auf natürlichem Wege“ aus den Dingen selbst entstehen3 * *. Und
1 L. c. Bl 12, b ff Die sehr ausführliche Polemik zeigt eine dem M.
v. 1. sonst ungewöhnliche Heftigkeit, die wohl aus gewissen Bl. 12, c angedeu-
teten Erfahrungen in der Disputation zu erklären ist. Sachlich ist die Differenz
garnicht so groß. Gregor, der die interessante Debatte auf eine wirklich
philosophische Höhe hebt (In I. lib. sent. prob, qu. 1, art. 1., concl. 1 — 3,
Bl. 2 — 2V) bekämpft die extrem nominalistische Meinung einerseits, der
Gegenstand des Wissens sei die conclusio demonstrationis selbst (so Okkam),
die realistische Meinung andrerseits, es sei eine res extra animam; er selbst
bezeichnet als Gegenstand des Wissens das significatum totale conclusionis,
also den sachlichen Inhalt der im Urteil ausgesprochenen Aussage; das Urteil
zielt niemals auf sich selbst, sondern auf seinen Gegenstand. Man sieht: hier
wird der Wahrheitsgrund des Erkennens sehr ernsthaft gesucht! Nun will
auch M. v. I. einen sachlichen Grund des Urteils in den Dingen selbst finden.
Seine Lösung (s. sogleich im Text!) ist aber viel äußerlicher. Prantl IV, 13,
N. 49, 78, N. 301 u. 98, N. 398 bringt die Stelle bei Gregor mißverständlich
mit den Ansichten Alberts von Sachsen und des M. v. I. zusammen. Mit
Gregor scheint Albert übereinzustimmen, aber nicht mit M. v. I.!
2 Z. B. lib. I prior. analyt., qu. 1, Bl. 1, a; abbrev. phys. Bl 3, c; lib.
sent. III, qu. 14, art. 2, N. 1, Bl. 453 u. ö.
3 metaphysica (Hs. nr. 75) 1. VI, qu. 6 (Register nr. 42) art. 3, concl. 1,
Bl. 77, d: Omnis primus actus intellectus est verus. . . quocl fundatur in re et
causatur mente t>el in mente a re. Er kann nicht „falsch11 sein, da er non habet