Studien zur Spätscholastik. T.
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besitzt für Marsilms auch die reine Erfahrungswissenschaft eine
durchaus zureichende ,,Evidenz“; unsere gesamte Naturerkenntnis
läßt sich aus ihr ableiten1.
bind ebensowenig ist in den Sätzen dieser Erkenntnislehre not-
wendig ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit meta-
physischer Erkenntnisse enthalten. Gewiß ist seit der Zerstörung
der „realistischen“ Vorstellung, das Allgemeine existiere außer-
halb des erkennenden Bewußtseins in den Dingen selbst, das Ver-
hältnis zwischen begrifflicher und „realer“ Welt nicht mehr so
eindeutig bestimmt wie früher. Aber von einer „prinzipiellen Los-
lösung der Logik von der Metaphysik“2 * könnte man doch nur dann
sprechen, wenn die ontologische Bedeutung der Allgemeinbegriffe,
d. h. ihre Fähigkeit, das „Wesen“ der Dinge im Sinne des Aristo-
teles zu erfassen, in der nominalistischen Grundthese geleugnet
würde. Erst das Studium einer nominalistisch-,,modernen“ Meta-
physik, wie es bisher noch nicht versucht worden ist, und zu dem
uns die metaphysische Arbeit unseres Philosophen Gelegenheit
geben wird, kann über diesen Punkt aufklären. Die nominalistische
Ablehnung der Vorstellung, als ob die Allgemeinbegriffe irgendwie
von außen her in der Seele erzeugt oder abgespiegelt würden,
besagt noch nichts darüber. Und ebensowenig kann die Vorliebe
Okkams für den Erfahrungsbeweis ins Feld geführt werden. Er
selbst begnügte sich keineswegs damit, die Sätze der „natürlichen
Theologie“ darum zu bestreiten, weil für sie die „Intuition“, d. h.
die sinnliche Erfahrung ihrer Objekte fehle; vielmehr legte er als
echter Aristoteliker den Hauptwert auf den Nachweis der logischen
Unmöglichkeit, ihren Inhalt aus notwendig gültigen Aussagen all-
gemeiner Natur abzuleiten. Es kam also alles darauf an, welche
Tragweite man den Kombinationen universaler Begriffe im Urteil
zutraute: war es möglich, mit ihrer Hilfe zu einer begrifflichen
Konstruktion des allgemeinsten Zusammenhangs der Wirklichkeit
zu gelangen ? Okkams Zutrauen war gering, und es ist nicht ein-
zusehen, warum das nicht letztlich mit der „echt englischen Eigen-
1 Vgl. Ökkam, super lib. I sentent., dist. 2, qu. 4 AD: Nihil refert ad
scientiam realem, an termini propositionis scite sint res extra animam vel tantum
sunt in anima, dummodo stent et supponant pro ipsis rebus extra.
2 H. Maier, Melanchton als Philosoph, A. f. PH. Abt. I, Bd. X (1897)
p. 444. Mißverständlich auch Windelband Gesch. d. Phil.4 272: „Die Welt
des Bewußtseins ist eine andere als die Welt der Dinge . . . Die Dinge sind
anders als unsere Vorstellungen von ihnen.“
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besitzt für Marsilms auch die reine Erfahrungswissenschaft eine
durchaus zureichende ,,Evidenz“; unsere gesamte Naturerkenntnis
läßt sich aus ihr ableiten1.
bind ebensowenig ist in den Sätzen dieser Erkenntnislehre not-
wendig ein grundsätzlicher Zweifel an der Möglichkeit meta-
physischer Erkenntnisse enthalten. Gewiß ist seit der Zerstörung
der „realistischen“ Vorstellung, das Allgemeine existiere außer-
halb des erkennenden Bewußtseins in den Dingen selbst, das Ver-
hältnis zwischen begrifflicher und „realer“ Welt nicht mehr so
eindeutig bestimmt wie früher. Aber von einer „prinzipiellen Los-
lösung der Logik von der Metaphysik“2 * könnte man doch nur dann
sprechen, wenn die ontologische Bedeutung der Allgemeinbegriffe,
d. h. ihre Fähigkeit, das „Wesen“ der Dinge im Sinne des Aristo-
teles zu erfassen, in der nominalistischen Grundthese geleugnet
würde. Erst das Studium einer nominalistisch-,,modernen“ Meta-
physik, wie es bisher noch nicht versucht worden ist, und zu dem
uns die metaphysische Arbeit unseres Philosophen Gelegenheit
geben wird, kann über diesen Punkt aufklären. Die nominalistische
Ablehnung der Vorstellung, als ob die Allgemeinbegriffe irgendwie
von außen her in der Seele erzeugt oder abgespiegelt würden,
besagt noch nichts darüber. Und ebensowenig kann die Vorliebe
Okkams für den Erfahrungsbeweis ins Feld geführt werden. Er
selbst begnügte sich keineswegs damit, die Sätze der „natürlichen
Theologie“ darum zu bestreiten, weil für sie die „Intuition“, d. h.
die sinnliche Erfahrung ihrer Objekte fehle; vielmehr legte er als
echter Aristoteliker den Hauptwert auf den Nachweis der logischen
Unmöglichkeit, ihren Inhalt aus notwendig gültigen Aussagen all-
gemeiner Natur abzuleiten. Es kam also alles darauf an, welche
Tragweite man den Kombinationen universaler Begriffe im Urteil
zutraute: war es möglich, mit ihrer Hilfe zu einer begrifflichen
Konstruktion des allgemeinsten Zusammenhangs der Wirklichkeit
zu gelangen ? Okkams Zutrauen war gering, und es ist nicht ein-
zusehen, warum das nicht letztlich mit der „echt englischen Eigen-
1 Vgl. Ökkam, super lib. I sentent., dist. 2, qu. 4 AD: Nihil refert ad
scientiam realem, an termini propositionis scite sint res extra animam vel tantum
sunt in anima, dummodo stent et supponant pro ipsis rebus extra.
2 H. Maier, Melanchton als Philosoph, A. f. PH. Abt. I, Bd. X (1897)
p. 444. Mißverständlich auch Windelband Gesch. d. Phil.4 272: „Die Welt
des Bewußtseins ist eine andere als die Welt der Dinge . . . Die Dinge sind
anders als unsere Vorstellungen von ihnen.“