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Studien zur Spätscholastik. I.

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Doktoren anderer Meinung: sie wollen die Allmacht Gottes mit
natürlichen Gründen wenigstens wahrscheinlich machen. Marsilius
zählt einige auf: Egidius Romanus, Thomas von Straßburg, die
Unendlichkeitsargumente des Gregor von Rimini, endlich Anselms
Gottesbeweis, und fügt zahlreiche anonyme Argumente hinzu. Aus
der umständlichen Widerlegung interessiert besonders die Auf-
lösung des berühmten anselmischen Arguments mit Mitteln der
okkamistischen Erkenntnislehre: die Existenz der Vorstellung einer
unendlichen Vollkommenheit im Intellekt bedingt keineswegs die
außermentale Realität der zugehörigen Sache* 1.
Auf natürlichem Wege läßt sich nach alledem die Allmacht
Gottes nicht beweisen; wohl aber ist sein Dasein, seine unendliche
Vollkommenheit (perfectio essentialis) im Vergleich zu dem Ge-
schaffenen, ferner die Unendlichkeit seiner Dauer, seine Allwissen-
heit mit bloßen Vernunftgründen zu erschließen2. An anderer
Stelle erfahren wir genauer, daß und warum sich mit Gründen der
,,natürlichen Vernunft“ die unendliche Vollkommenheit, die ewige
Dauer der Kraft und das Dasein Gottes beweisen lassen, die All-
gegenwart dagegen nur als möglich oder wahrscheinlich zu erschlie-
ßen, und die Allmacht nur durch den Glauben zu erkennen ist3.
Doch schon die These als solche genügt, um uns eine höchst bemer-
kenswerte, im Grunde inkonsequente Abweichung unseres Autors
von Okkam im Sinne der augustinischen und älteren scholastischen
Tradition erkennen zu lassen.
Es bleibt noch die Frage, ob die Möglichkeit einer Schöpfung
valeat perscrutari, cuius contrarium sancta determinat ecclesia. Mentis enim
humane acies invalida in tarn excellenti lumme non figitur, nisi prius per fidern
illustretur. (1. c. Bl. 67, d). Also schroffste Ablehnung aller Rationalisierung
des göttlichen Willens, cuius non est ratio querenda nec assignanda. (ibid.
Bl. 70, b, Terne k).
1 1. c. Bl. 179, d: Der erste anselmische Satz lautet: vigor, quo maior
excogitari non potest, est in intellectu. Dagegen diceret gentilis, quod si subi-
ectum supponit personaliter, ipsa [proposilio] est falsa, quia omni vigore etiarn
divino diceret posse imaginari maiorem ad bonum intellectum (z. B. wenn der
Himmel mit doppelter Schnelligkeit als de facto bewegt vorgestellt würde);
si vero subiectum staret materialiter, concederet quod illa oratio esset in intellectu
et quod ei ex parte rei nihil corresponderet quoad eins totalem significationem.
Potest enim intellectus combinare conceptus false imaginationis.
2 1. c. Bl. 180, b. i. f. Wichtig ferner Bl. 170, d: Hec conclusio: ,,deus
est“ probatur metaphysicaliter. . . ex esse effectuum, quod prima causa efficiens
vel etiam finalis est, sicut patet XII. metaphys.
3 abbrev. phys., 1. c. 79v.
 
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