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Studien zur Spätscholastik. I.

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chung der charitas und ihrer Steigerungsfälligkeit1, sondern bei
der mit der Theodizee verwandten Frage, ob Gott die Vollkommen-
heit aller Teile des Universums steigern könne2. Zunächst ist die
Widerlegung der (durch Gottfried von Fontaines, W. Burley u. a.
vertretenen3) Auffassung bemerkenswert, nach der jeder höhere
Intensitätsgrad bei seinem Auftreten die Vernichtung aller früheren
bedeutet, so daß er in jedem Falle eine völlig neue forma darstellt4.
Demgegenüber behauptet Marsilius, daß die Form während der
Steigerung dieselbe bleibt, allerdings nicht in allen Teilen, da neue
Teile einer wesensähnlichen Qualität zu denen des anfänglichen
Grades durch Addition hinzukommen, aber doch in einigen: eben
denen des Anfangsgrades5. Damit stehen wir auf dem Boden der
modernen, auch durch Okkam vertretenen Lehre. Ist erst einmal
anerkannt, daß der geringere Grad der Intensität zu dem höheren
ein analoges Verhältnis hat wie die geringere Ausdehnung zu der
größeren, so ist der Weg nicht mehr weit zu der Erkenntnis, daß
es eine intensive Größe gibt wie eine extensive, daß Qualität und
Quantität in dem Begriff des Maßes ihre Einheit finden6. Ein
wesentlicher logischer und methodologischer Fortschritt über die
scharfe aristotelische Scheidung der beiden Kategorien ist erreicht.
Die quantitative Bestimmung der Intensitäten, wie sie die moderne
Naturforschung kennt, ist im Prinzip ermöglicht, ohne den eigen-
tümlichen Charakter der Qualität in der Weise des antiken Atomis-
mus zugunsten des Quantitativen zu verwischen. Darin liegt die
außerordentliche Bedeutung dieser scholastischen Überlegungen.
Viel weniger deutlich als in dieser Kernfrage ist die Meinung
des Marsilius über den Träger der Intensitätsänderungen zu ermit-
1 Trotz der Ankündigung Bl. 201, c, oben. Wenigstens habe ich die
versprochene Darlegung nicht gefunden.
2 lib. sent. 1, qu. 43, art. 1 (1. c. Bl. 183 ff.).
3 Duhem III, 324 ff.
4 1. c. oppos. 3: Cum fit. intensio caliditatis vel alterius qualitatis, non
manet eadem post, quae prius.
5 1. c. ad 3, Bl. 183, c: In intensione forma manet eadem, licet non in
omnimoda suarum partium totali identitate, tarnen in partium suarum addi-
tione primam qualitatem perficientium. . . . Gradus precedens manet et . . . sic
intensior per similis qualitatis additionem. Ähnlich lib. sent. II, qu. 1, 1. c.
Bl. 201, a: Intensio in qualitatibus remanentibus fit per additionem gradus ad
gradum.
6 Der Begriff des Maßes erscheint ganz klar bei Nik. v. Oresme, s.
Duhem III, 391.
 
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