Studien zur Spätscholastik. I.
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Geometrische Figuren zur Veranschaulichung der Wärme-
theorie wendet unser Autor auch an andern Stellen des Traktates
über „Werden und Vergehen“ an. So untersucht er die Verschieden-
heit der Wirkung aktiver Wärme in einem verdünnten bzw. kon-
densierten Medium, indem er die Größe der aktiven Kraft durch
eine bestimmte Strecke einer Geraden dar stellt, die im Falle der
Verdünnung länger, im Falle der Verdichtung kürzer angenommen
wird, und zwar so, daß beide Strecken denselben Mittelpunkt
besitzen; das Objekt der Einwirkung der Wärme bezeichnet ein
Punkt außerhalb der Geraden. Indem nun der Mittelpunkt und
die Endpunkte der beiden Strecken und, zwar der größeren wie der
kleineren, mit dem Punkte, der das passivum darstellt, geradlinig
verbunden werden, ergeben sich vier Dreiecke. Mit Hilfe Euklids
läßt sich dann beweisen, daß die äußeren Seitenlängen der beiden
äußeren Dreiecke größer sind als die entsprechenden Seitenlängen
der inneren, d. h. daß die Wirkung der Wärme im verdünnten
Medium auf größere Entfernung erfolgt und darum schwächer ist,
als im Falle der Verdichtung1. Wie man sieht, enthält diese Dar-
legung keinerlei Anwendung der Koordinaten des Oresme, wie
Duhem behauptet2. Die mutmaßliche Quelle dieser Methode ein-
facher geometrischer Veranschaulichung wird vielmehr deutlicher
an einer andern Stelle desselben Traktates. Dort zeigt Marsilius
in altherkömmlicher Weise an einer geometrischen Figur, daß die
Summe der arithmetischen Reihe i, 2, 3 usf. stets gleich der Hälfte
aus dem Produkt des letzten Gliedes mit dem nächstgrößern der
fortgesetzten Reihe ist3. Er beruft sich hierbei auf eine Stelle im
„Kommentar des Jordanus“4. Sollte das nicht jener unbekannte
Autor sein, der die scientia de ponderibus des Jordanus Nemora-
1 1. c. 1. I, qu. 18, art. 1. Die Buridansche Theorie von dem Zusammen
-der Wärme und Kälte wird auch in dieser Quästion vorausgesetzt, das quan-
titative Verhältnis von Wirkung und Gegenwirkung der elementaren Qua-
litäten (warm, kalt, trocken, feucht) genau untersucht. Auch aus der medi-
zinischen Erfahrung werden Beweise herbeigeholt, wie denn überhaupt für
M. v. I. medizinische Autoritäten (z. B. ibid. 1. II, qu. 15 Avicennas Canon,
lib. sent. II, qu. 13 die medici) eine beträchtliche Rolle spielen.
2 1. c. III, 403, no. 2.
3 1. c. lib. II, qu. 12, art. 1. — Es handelt sich um die herkömm-
lichen Punktdreiecke des mathematischen Schulunterrichts zur Veranschau-
lichung von Reihen, Variationen, Kombinationen usw. Vgl. Günther Mathe-
mat. Unterricht im Mittelalter, p. 178.
4 Commento VI. conclusionis VIII. Jordani.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.
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Geometrische Figuren zur Veranschaulichung der Wärme-
theorie wendet unser Autor auch an andern Stellen des Traktates
über „Werden und Vergehen“ an. So untersucht er die Verschieden-
heit der Wirkung aktiver Wärme in einem verdünnten bzw. kon-
densierten Medium, indem er die Größe der aktiven Kraft durch
eine bestimmte Strecke einer Geraden dar stellt, die im Falle der
Verdünnung länger, im Falle der Verdichtung kürzer angenommen
wird, und zwar so, daß beide Strecken denselben Mittelpunkt
besitzen; das Objekt der Einwirkung der Wärme bezeichnet ein
Punkt außerhalb der Geraden. Indem nun der Mittelpunkt und
die Endpunkte der beiden Strecken und, zwar der größeren wie der
kleineren, mit dem Punkte, der das passivum darstellt, geradlinig
verbunden werden, ergeben sich vier Dreiecke. Mit Hilfe Euklids
läßt sich dann beweisen, daß die äußeren Seitenlängen der beiden
äußeren Dreiecke größer sind als die entsprechenden Seitenlängen
der inneren, d. h. daß die Wirkung der Wärme im verdünnten
Medium auf größere Entfernung erfolgt und darum schwächer ist,
als im Falle der Verdichtung1. Wie man sieht, enthält diese Dar-
legung keinerlei Anwendung der Koordinaten des Oresme, wie
Duhem behauptet2. Die mutmaßliche Quelle dieser Methode ein-
facher geometrischer Veranschaulichung wird vielmehr deutlicher
an einer andern Stelle desselben Traktates. Dort zeigt Marsilius
in altherkömmlicher Weise an einer geometrischen Figur, daß die
Summe der arithmetischen Reihe i, 2, 3 usf. stets gleich der Hälfte
aus dem Produkt des letzten Gliedes mit dem nächstgrößern der
fortgesetzten Reihe ist3. Er beruft sich hierbei auf eine Stelle im
„Kommentar des Jordanus“4. Sollte das nicht jener unbekannte
Autor sein, der die scientia de ponderibus des Jordanus Nemora-
1 1. c. 1. I, qu. 18, art. 1. Die Buridansche Theorie von dem Zusammen
-der Wärme und Kälte wird auch in dieser Quästion vorausgesetzt, das quan-
titative Verhältnis von Wirkung und Gegenwirkung der elementaren Qua-
litäten (warm, kalt, trocken, feucht) genau untersucht. Auch aus der medi-
zinischen Erfahrung werden Beweise herbeigeholt, wie denn überhaupt für
M. v. I. medizinische Autoritäten (z. B. ibid. 1. II, qu. 15 Avicennas Canon,
lib. sent. II, qu. 13 die medici) eine beträchtliche Rolle spielen.
2 1. c. III, 403, no. 2.
3 1. c. lib. II, qu. 12, art. 1. — Es handelt sich um die herkömm-
lichen Punktdreiecke des mathematischen Schulunterrichts zur Veranschau-
lichung von Reihen, Variationen, Kombinationen usw. Vgl. Günther Mathe-
mat. Unterricht im Mittelalter, p. 178.
4 Commento VI. conclusionis VIII. Jordani.
Sitzungsberichte d. Heidelb. Akad., philos.-hist. Kl. 1921. 4. Abh.
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