Gerhard Ritter:
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die ausgiebige liier anknüpfende Erörterung im einzelnen zu ver-
folgen; sie weist nur an zwei Stellen eigene Züge auf.
Zunächst ist die abermalige Verwendung des Begriffes der
libertas finalis ordinationis bemerkenswert, die hier vollends ihre
rein metaphysische Natur erweist1. Wir hörten schon, daß sie
absolut genommen — beiden konkurrierenden Seelenvermögen
zukommen soll. Jetzt erfahren wir, daß der Wille sich dieser Frei-
heit in höherem Maße erfreut als der Intellekt, da er der endgül-
tigen Bestimmung des Erdenpilgers (finalis ordinatio) seinem Wesen
nach näher steht als jener.
Interessanter ist eine kurze Betrachtung, die ebensoviel prak-
tischen Lebenssinn wie religiöse Wärme des Autors verrät: das
abschließend höchste Ideal des Christen kann nicht die fromme
Spekulation sein. Wie sollte der Bauer und einfache Handwerker
sonst sein Leben über das „Arbeiten, um sich zu nähren, und sich
nähren, um zu arbeiten“ hinausbringen ? Die Liebe Gottes
und des Nächsten ist Jesu einfaches Gebot; das vermag auch der
Ärmste im Geiste zu erfüllen. Die Tiefe der Spekulation ist immer
nur wenigen, auserlesenen Geistern möglich. Der Glaube ist nur
Erkenntnis Gottes; darum steht die Liebe nach dem Spruch des
Apostels noch über ihm2. Somit haben wir auch hier wieder im
Begriff der Liebe die unentbehrliche Ergänzung zu dem streng
intellektualistisch gefaßten Glaubensbegriff. Zugleich aber emp-
findet man lebhaft inmitten der Wüste dialektischer Erörterungen,
wie hier einmal der Professor die Schranke der akademischen
Formeln durchbricht und ein Stück praktischer franziskanischer
Seelsorge sich zu eigen macht; man spürt auch von hier aus beson-
ders deutlich den Abgrund, der sich damals im täglichen kirch-
lichen Leben auftun mochte zwischen den spekulativen Bemü-
hungen der gelehrten Dominikaner, in Deutschland insbesondere
der Mystiker, Eckhards und der gebildeten „Gottesfreunde“, und
(auf der Gegenseite) der Alltagspredigt dieser Bettelmönche, die
ihre wissenschaftliche Tradition von den willenskräftigen, unspeku-
lativen englischen Theologen bezogen. Die große Kontroverse der
akademischen Schulen ist hier einmal auf die Fläche des prak-
tischen religiösen Lebens projiziert.
Und somit stehen wir beinahe unvermerkt wieder mitten in
der Theologie.
1 Qu. 22, art. 3, concl. 2ff., Bl. 337, a.
2 ibid. Bl. 333, b.
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die ausgiebige liier anknüpfende Erörterung im einzelnen zu ver-
folgen; sie weist nur an zwei Stellen eigene Züge auf.
Zunächst ist die abermalige Verwendung des Begriffes der
libertas finalis ordinationis bemerkenswert, die hier vollends ihre
rein metaphysische Natur erweist1. Wir hörten schon, daß sie
absolut genommen — beiden konkurrierenden Seelenvermögen
zukommen soll. Jetzt erfahren wir, daß der Wille sich dieser Frei-
heit in höherem Maße erfreut als der Intellekt, da er der endgül-
tigen Bestimmung des Erdenpilgers (finalis ordinatio) seinem Wesen
nach näher steht als jener.
Interessanter ist eine kurze Betrachtung, die ebensoviel prak-
tischen Lebenssinn wie religiöse Wärme des Autors verrät: das
abschließend höchste Ideal des Christen kann nicht die fromme
Spekulation sein. Wie sollte der Bauer und einfache Handwerker
sonst sein Leben über das „Arbeiten, um sich zu nähren, und sich
nähren, um zu arbeiten“ hinausbringen ? Die Liebe Gottes
und des Nächsten ist Jesu einfaches Gebot; das vermag auch der
Ärmste im Geiste zu erfüllen. Die Tiefe der Spekulation ist immer
nur wenigen, auserlesenen Geistern möglich. Der Glaube ist nur
Erkenntnis Gottes; darum steht die Liebe nach dem Spruch des
Apostels noch über ihm2. Somit haben wir auch hier wieder im
Begriff der Liebe die unentbehrliche Ergänzung zu dem streng
intellektualistisch gefaßten Glaubensbegriff. Zugleich aber emp-
findet man lebhaft inmitten der Wüste dialektischer Erörterungen,
wie hier einmal der Professor die Schranke der akademischen
Formeln durchbricht und ein Stück praktischer franziskanischer
Seelsorge sich zu eigen macht; man spürt auch von hier aus beson-
ders deutlich den Abgrund, der sich damals im täglichen kirch-
lichen Leben auftun mochte zwischen den spekulativen Bemü-
hungen der gelehrten Dominikaner, in Deutschland insbesondere
der Mystiker, Eckhards und der gebildeten „Gottesfreunde“, und
(auf der Gegenseite) der Alltagspredigt dieser Bettelmönche, die
ihre wissenschaftliche Tradition von den willenskräftigen, unspeku-
lativen englischen Theologen bezogen. Die große Kontroverse der
akademischen Schulen ist hier einmal auf die Fläche des prak-
tischen religiösen Lebens projiziert.
Und somit stehen wir beinahe unvermerkt wieder mitten in
der Theologie.
1 Qu. 22, art. 3, concl. 2ff., Bl. 337, a.
2 ibid. Bl. 333, b.