Metadaten

Gradenwitz, Otto [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1921, 6. Abhandlung): Akten über Bismarcks großdeutsche Rundfahrt vom Jahre 1892 — Heidelberg, 1921

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.37796#0018
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
18*

O. Gradenwitz:

eines Staates einen König wie Friedrich den Großen oder auch
nur Friedrich Wilhelm I. haben oder ob Sie — ich will niemanden
nennen — aber einen König haben, der seinerseits weniger begabt
ist, als die meisten Regenten aus unserem Hause gewesen sind1.“
Treitschke hingegen, der nach Bismarck sprach, steigerte: „Wie
ist es gekommen, daß in den schweren Jahren 1807 — 1813 König-
Friedrich Wilhelm III. gegen seine Feldherren und Staatsmänner
immer Recht hatte ? Ist er etwa bedeutender und begabter von
Natur gewesen als Männer wie Scharnhorst, Stein und Harden-
berg? Nein, wahrhaftig nicht, und dennoch hat er den Augenblick,
wo die Erhebung gegen Frankreich möglich war, richtiger berechnet
als seine ganze Umgebung. Warum konnte er, welcher von Natur
aus nur mit einem klaren Verstände, aber nicht mit schöpferischer
Genialität begabt war, richtiger rechnen als seine Staatsmänner
und seine Feldherren? Darum, meine Herren, weil er der König
war, weil das Bewußtsein seiner Verantwortlichkeit für das Dasein
des Staates ihm auf dem Gewissen brannte! Und so ist es in Preußen
zu allen Zeiten gewesen, auch heute in der konstitutionellen Mo-
narchie.“
Nun, wenn der 23 jährige Prinz Wilhelm im Jahre 1882 hörte2,
daß der weltberühmte Historiker und nationale Herold Friedrich
Wilhelm den III., gegen den Frhr. von Stein „den widerspen-
stigen, trotzigen, hartnäckigen und ungehorsamen Staatdiener“
im Grunde recht behalten ließ, warum sollte nicht im Jahre 1892
Kaiser Wilhelm II. im Fürsten Bismarck einen „ungehorsamen
Untertan“ sehen3! — Nicht ohne weiteres wurde übrigens die

1 Er sprach dabei über die Stellung der Ministerverantwortung zur
Königsgewalt, den heikelsten Punkt in Bismarcks praktischem Staatsrecht:
wenn er am Schluß des Kapitels „Graf Caprivi“ (G. u. E. 3, 118/20) hiervon
spricht, so mag er in der Erinnerung an die damalige Rede wieder und wieder
Zusätze gemacht haben; der Passus im ganzen zeigt nicht in gleichem Maß
wie andere Partien das was Graf Wilhelm Bismarck (Rottenburg bei Epp-
stein-Bötticher S. 90) den „alten Hammerschlag“ bei seinem Vater nannte.
2 Man vergleiche über die Lektüre des Prinzen Wilhelm Lucius S. 292/3.
3 „Die Leichtigkeit, mit der man mißverstanden wird, scheint mir so
groß“, daß ich doch hinzufügen möchte: in dem kaiserlichen Schreiben dürfte
nicht genügend gewürdigt sein, wie ein Mann der gleich Bismarck ein Über-
menschenalter hindurch seine Kräfte dem Lande widmet, im Punkte der
Treitschkeschen Verantwortlichkeit es mit dem erblichen Anwärter aufnehmen
kann; dieses Gefühl vererbt ein solcher Mann auch auf die Seinen, mag das
Genie vererblich sein oder nicht.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften