Bismarcks großdeutsche Rundfahrt vom Jahre 1892.
43*
darum würde Graf Eulenburg immerhin — nach Art eines pro-
curator in rem suam — auch in Betracht gekommen sein; aber
keiner der Herren will mit der Sache zu tun haben, und so lehnt
Graf Eulenburg aus formellen Rechtsgründen ab, während Graf
Lerchenfeld sich de facto weigert, zumal ihm Frhr. v. Marschall
sagt, daß nach seiner Kenntnis der Personen ein solcher Wunsch
den entgegengesetzten Erfolg haben werde; wahrscheinlich hätten
übrigens Graf Herbert und Schwenninger ihrerseits Bedenken gehabt,
diesen Wunsch offiziell weiterzugeben. Aber der greise Regent von
Bayern ist nachdem sein Herzenswunsch keinen Vollstrecker ge-
funden, noch nicht gewillt, nunmehr den Fürsten nicht zu emp-
fangen; „er befindet sich in großer Verlegenheit“. Es wird auf ihn
eingewirkt durch den Minister, der sich hat überzeugen lassen,
daß ein Empfang und eine Vermittlung die Lage zu ungunsten
des Kaisers verschieben könnte. (Nr. 47J). Doch der Regent in seinem
berechtigten Selbstgefühl als Bayer und erster Bundesfürst nächst
dem Kaiser ist offenbar nicht zufriedengestellt durch dieses Argu-
ment: Es bedarf eines Berichts aus Dresden, wonach der dortige
Minister dem Könige anraten wird bald nach Pillnitz überzusiedeln,
„um Berlin nicht zu verstimmen“, und auch aus Wien läßt Graf Kal-
noky—wahrscheinlich auf Berliner oder Crailsheim sehe Bitte—durch
den bayrischen Gesandten wissen, daß und warum Franz Joseph
den Fürsten nicht gesehen. Daraufhin erst gibt der greise Bayern-
fürst soweit nach, daß er zu einer Reise sich entschließt, trägt aber
durch die den früheren Jahren gleichartige Betreuung des Fürsten
auf bayerischem Gebiet und namentlich in Kissingen Sorge, diesem
seine fortdauernde Gnade kenntlich zu machen, wie er ihm denn
auch 1893 zum neuen Jahre in herzlichster Form gratulierte. Ihm
hätte es offenbar nicht gepaßt, wenn er, ortsanwesend, Bismarck
auch bei einem kurzen Aufenthalt in München nicht gesehen hätte.
Der Minister fürchtet, daß die Affäre die große Bismarckpartei
rebellisch machen werde, oder schützt dies vor, um eine Rücken-
deckung durch einen allerhöchstenWunsch aus Berlin zu erlangen
(Nr.472) —vielleicht ist etwas von dem Brief an Franz Joseph auch
schon nach München gesickert, und war hierauf Kalnoky von Berlin
aus gebeten worden, die Gründe des Nichtempfanges nach München
mitteilen zu lassen. Es wäre von Wert, das Datum von Bismarcks
Entschuldigungsschreiben zu erfahren, damit man ermessen könnte,
wie selbst nach Eintreffen dieses Schreibens die Stimmung des
Prinzregenten Luitpold war.
43*
darum würde Graf Eulenburg immerhin — nach Art eines pro-
curator in rem suam — auch in Betracht gekommen sein; aber
keiner der Herren will mit der Sache zu tun haben, und so lehnt
Graf Eulenburg aus formellen Rechtsgründen ab, während Graf
Lerchenfeld sich de facto weigert, zumal ihm Frhr. v. Marschall
sagt, daß nach seiner Kenntnis der Personen ein solcher Wunsch
den entgegengesetzten Erfolg haben werde; wahrscheinlich hätten
übrigens Graf Herbert und Schwenninger ihrerseits Bedenken gehabt,
diesen Wunsch offiziell weiterzugeben. Aber der greise Regent von
Bayern ist nachdem sein Herzenswunsch keinen Vollstrecker ge-
funden, noch nicht gewillt, nunmehr den Fürsten nicht zu emp-
fangen; „er befindet sich in großer Verlegenheit“. Es wird auf ihn
eingewirkt durch den Minister, der sich hat überzeugen lassen,
daß ein Empfang und eine Vermittlung die Lage zu ungunsten
des Kaisers verschieben könnte. (Nr. 47J). Doch der Regent in seinem
berechtigten Selbstgefühl als Bayer und erster Bundesfürst nächst
dem Kaiser ist offenbar nicht zufriedengestellt durch dieses Argu-
ment: Es bedarf eines Berichts aus Dresden, wonach der dortige
Minister dem Könige anraten wird bald nach Pillnitz überzusiedeln,
„um Berlin nicht zu verstimmen“, und auch aus Wien läßt Graf Kal-
noky—wahrscheinlich auf Berliner oder Crailsheim sehe Bitte—durch
den bayrischen Gesandten wissen, daß und warum Franz Joseph
den Fürsten nicht gesehen. Daraufhin erst gibt der greise Bayern-
fürst soweit nach, daß er zu einer Reise sich entschließt, trägt aber
durch die den früheren Jahren gleichartige Betreuung des Fürsten
auf bayerischem Gebiet und namentlich in Kissingen Sorge, diesem
seine fortdauernde Gnade kenntlich zu machen, wie er ihm denn
auch 1893 zum neuen Jahre in herzlichster Form gratulierte. Ihm
hätte es offenbar nicht gepaßt, wenn er, ortsanwesend, Bismarck
auch bei einem kurzen Aufenthalt in München nicht gesehen hätte.
Der Minister fürchtet, daß die Affäre die große Bismarckpartei
rebellisch machen werde, oder schützt dies vor, um eine Rücken-
deckung durch einen allerhöchstenWunsch aus Berlin zu erlangen
(Nr.472) —vielleicht ist etwas von dem Brief an Franz Joseph auch
schon nach München gesickert, und war hierauf Kalnoky von Berlin
aus gebeten worden, die Gründe des Nichtempfanges nach München
mitteilen zu lassen. Es wäre von Wert, das Datum von Bismarcks
Entschuldigungsschreiben zu erfahren, damit man ermessen könnte,
wie selbst nach Eintreffen dieses Schreibens die Stimmung des
Prinzregenten Luitpold war.