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Ritter, Gerhard [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1922, 7. Abhandlung): Studien zur Spätscholastik, 2: Via antiqua und via moderna auf den deutschen Universitäten des XV. Jahrhunderts — Heidelberg, 1922

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https://doi.org/10.11588/diglit.38041#0035
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Studien zur Spätscholastik. II.

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seien. Das war nun freilich eine recht grobe Entstellung der Tat-
sachen. Aber sie tat gute Wirkung. Am 1. März 1473 erließ der
König nach Anhörung einer aus allen Fakultäten, doch namentlich
aus Theologen zusammengesetzten Kommission jenes vielbespro-
chene scharfe Verbot nominalistischer Lehren, durch das sogar die
Einziehung und gerichtliche Verwahrung der sämtlichen Schriften
nominalistischer Autoren angeordnet wurde — jene ,,Ankettung
harmloser Bibliotheksbände nach der Art wilder Tiere,“ über die
sich damals der Humanist Robert Gaguin so lustig machte1. Der
sofort erfolgende Protest der Universität gegen die restlose Be-
schlagnahme der Bücher, sodann die nur sehr unvollständige Durch-
führung dieser Bestimmung und ihre erhebliche Milderung im näch-
sten Jahre auf Betreiben der Universität zeigt, daß die ganze
Aktion mit einseitiger Parteileidenschaft betrieben war und der
tatsächlichen Bedeutung der nominalistischen Literatur nicht ent-
sprach. Die Pariser Bibliotheken hätten sehr bedenklich entleert
werden müssen, wollte man diese gewaltsame ,,Peinigung“ wirk-
lich durchführen. Schon 1481 wurde denn auch das ganze Verbot
wieder rückgängig gemacht — zum größten Jubel der aleman-
nischen und pikardischen Nation, wie Bulaeus berichtet2: Sollten
etwa gegenseitige Eifersüchteleien der landsmannschaftlichen Kor-
porationen hier mit hineingespielt haben ? Stecken überhaupt poli-
tische Tendenzen hinter dem Vorgehen des Königs? Welcher Art
könnten sie sein? Zarncke suchte auch diesen Vorgang mit der
hohen Kirchenpolitik in Verbindung zu bringen. Der „bigotte
König Ludwig“, meint er, dem die päpstliche Partei bereits den
Widerruf der pragmatischen Sanktion abgedrungen hatte, ließ sich
nun auch dieses Edikt „gegen den gesamten Nominalismus“ ent-
locken3. Nun hat die Kurie aber in dem Streite mit den Löwener
Theologen die Nominalisten, nicht ihre Gegner, unterstützt. Und
wie stand es mit der Kirchenpolitik Ludwigs ? Seine persönliche
1 Abdruck des Verbots und zugehöriger Akten: Boulaeus V 705 — 712.
Ibid. 711 Brief R. Gaguins an Fichetus vom 26. 2. 1473. 2 V 739/41.
3 1. c. p. XV/XVI. Die alemannische Nation sei dadurch besonders hart
getroffen worden, und nur die nahe Verwandtschaft des Humanismus zum
Realismus mache es begreiflich, daß Heynlin a Lapide es habe wagen dürfen,
„nicht zufrieden mit dem Siege seiner Partei“ mit seinen Schülern nach Basel
zu gehen, um dort die via antiqua einzuführen. Heynlin war aber schon 1464
nach Basel gekommen und war 1473 als Theologe in Paris nicht mehr Mit-
glied der natio Almanica. Vgl. Vischer, Gesch. der Universität Basel (1860),
p. 143 u. 162.

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